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Bewährungszeit

Geschichte Info
Ein kurzer, aber prägender Abschnitt in seinem Leben.
11.7k Wörter
4.6
26.5k
2
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Prolog

We don't need no water, let the motherfucker burn. Burn motherfucker, burn ...

Ihn hatte die dunkle Seite seines Ichs voll im Griff. Er sang mit Inbrunst die Textzeile eines Liedes der Bloodhound Gang , während der Mensch vor ihm in Flammen stand. Dieser sank in sich zusammen und erst jetzt realisierte er seine Tat. Er saß vor dem Opfer in einem Anfall von Katatonie, als die Polizei eintraf. Die Polizisten hatten ihn mit vorgehaltener Waffe eingekreist. Eigentlich hatten sie den Kerl gejagt der immer noch rauchend, tot auf dem Bürgersteig lag. Thomas war genau der Typ, von dem die Leute immer behaupteten, er könne nicht mal einer Fliege was zu Leide tun. Genau dies hatte er auch bis vor kurzen von sich gedacht und jetzt hatte er jemand in eine menschliche Fackel verwandelt.

„Ist das ein Belgischer Schäferhund?", fragte er den nervösen Polizisten, der nicht begreifen konnte, dass Thomas die als Polizeihund getarnte zähnefletschende Bestie in einen Kampfschmuser verwandelt hatte. Unsicher antwortete der Beamte. „Es ist ein Deutscher Schäferhund, die Ostdeutschen sind gesünder. Ihnen hat man nicht eine so abfallende Rückenlinie angezüchtet." Es entlockte Thomas nur ein „Hmm", bevor er sich auf den Bauch legte, seine Arme nach hinten nahm und ohne Gegenwehr sich Handschellen anlegen ließ.

Kapitel 1

Thomas alias Jimmy Pop verbüßte seine 10-jährige Freiheitsstrafe in irgendeiner JVA auf deutschem Hoheitsgebiet. Außer in den 4 Jahren seiner Ehe war er nicht so zur Ruhe gekommen. Jimmy Pop genoss den Respekt seiner Mithäftlinge, die ihn in Ruhe ließen. Ganz am Anfang seines Aufenthaltes hier war einmal ein Insasse der Meinung, dieses schmale Hemd, welches er damals darstellte, versklaven zu müssen. Er wurde auf das übelste von dem Muskelpaket zusammengeschlagen. Kaum wurde Jimmy von der Krankenstation entlassen, machte er sich auf die Suche nach seinem Peiniger. Er fand ihn nach 40 Minuten im Kraftraum der Einrichtung. Jeder beobachtete ihn neugierig. Nur der Typ, der ihn malträtiert hatte, lag auf der Hantelbank und bemerkte ihn nicht sofort.

Jimmy Pop, der eigentlich Thomas Rudolph hieß, machte zu einem der Anwesenden eine Geste, als wolle er eine Zigarette schnorren. Jimmy Pop, so wurde er von seinen Leidensgenossen hier im Knast genannt. Jeder hier wusste, dass er den Täter, der seine Familie, bestehend aus seiner Frau und seinen beiden Töchtern im Vorschulalter, auf bestialische Weise ermordet hatte, laut singend in den Feuertod schickte. Let the motherfucker burn. Burn motherfucker, burn. Der Songtext der Bloodhound Gang beinhaltete eine Textzeile die sinngemäß „Hallo, mein Name ist Jimmy Pop. Und ich bin ein blöder weißer Kerl" lautete. Der Name Jimmy Pop blieb an ihm hängen. Er ärgerte sich nicht und trug ihn wie eine Auszeichnung.

Er stand jetzt unmittelbar vor der Hantelbank, als ihn sein Widersacher bemerkte. Der ‚Fast-zwei-Meter-Riese' baute sich augenblicklich vor ihm auf. Dieser holte aus, um seine Lektion bei Jimmy zu erneuern. Doch Thomas alias Jimmy Pop blieb ruhig. Auf der Krankenstation hatte er in einem Moment, als er für ein paar Sekunden unbeobachtet war einen ziemlich großen Vorrat an medizinischen Alkohol in den Mund genommen. Diesen abscheulich schmeckenden, weil vergällten, Alkohol trug er nun gute 40 Minuten in seinem Mund. Endlich war der Moment gekommen, diesen in Form von Sprühnebel auf dem Gesicht seines Kontrahenten zu verteilen. Der Moment der Verblüffung in den Augen seines Gegners dauerte nur kurz an, um in Wut umzuschlagen. Doch Jimmy Pop hielt schon ein Feuerzeug hoch. „Willst du wirklich Nummer zwei auf meiner Liste sein?", fragte er.

Das bespuckte Schwergewicht war sich plötzlich nicht mehr sicher, ob er sich mit dem Irren anlegen sollte. Jimmy Pop bekam Unterstützung von den anderen Gefangenen. Ob aus Sympathie oder aus Respekt, die Jungs, die allesamt nicht zur Heilsarmee gehörten, skandierten jetzt „The Roof is on Fire". Es war nicht nötig, das Feuerzeug zu benutzen. Der Mann sah ein, dass er hier nicht gewinnen konnte, er drehte sich um und ging einfach. Danach war Jimmy Pop einer der wenigen im Knast, der nicht ständig beweisen musste, wie hart er war.

Er trauerte nicht der Zeit nach, die er im Gefängnis sitzen musste. Er hatte seine Familie gerächt, selbst wenn ihn das seine Frau und seine beiden Töchter nicht wieder zurück holte. Selbstjustiz durfte nicht geduldet werden, das sah Thomas ein. Doch selbst die Wärter hier brachten ihm einen gewisses Verständnis entgegen. Der eine mehr, der andere weniger. Viel mehr Sorgen machte er sich um die Zeit danach. Seine Firma hatte sich natürlich in Luft aufgelöst. Wer würde schon Geschäftsbeziehungen mit einem Mörder eingehen. Dass er mildernde Umstände vor Gericht wegen seines Ausnahmezustandes gelten machen konnte, würde niemand interessieren. Sein Anwalt hatte sogar auf eine Affekthandlung plädiert, doch Thomas wusste, damit würde er nicht durchkommen. Niemand nahm einen eine Gefühlswallung ab, wenn derjenige das Benzin noch vorher an der Tankstelle das Benzin für die Tat gekauft hatte. Aber sein Verteidiger hatte Recht, er befand sich lediglich in einem langen Affekt, der erst mit seiner Verhaftung endete. Nun würde er erst einmal ein Sozialhilfefall sein. Doch schlimmer traf ihn, dass er keine Familie mehr hatte und einsam in seinem Zimmer dahinvegetieren würde. Auch die Gedanken an seine Frau, die brutal vergewaltigt und danach vor den Augen seiner Töchter ermordet wurde, machte ihn krank. Seine Kinder hatten mit ansehen müssen, welche Dunkelheit in dem Sadisten steckte, bevor auch sie von dem Ungeheuer umgebracht wurden. Wie schon Shakespeare Macbeth über das Leben sagen ließ: „Ein Märchen ists erzählt von einem Irren, voll Lärm und Wut und es bedeutet nichts."

Da er sich in der Haftanstalt gut geführt hatte, würde er am nächsten Tag nach 8 Jahren entlassen werden. Die Sache mit dem Typen auf der Hantelbank kam nie zur Sprache. Er saß in einem vergitterten Raum und wartete auf das erste Gespräch mit seinem Bewährungshelfer. Das war überflüssig, dachte er, ihm fiel einfach kein Grund ein, eine solche Tat zu wiederholen. Jeglicher Sinn für Romantik ist ihm durch die Haftstrafe verloren gegangen. Sie wurde mit seiner kleinen Familie beerdigt. Darum überraschte ihn die Erscheinung, die jetzt durch die Tür trat. Sein weiblicher Bewährungshelfer trat durch die Tür und sein Puls beschleunigte sich, noch bevor diese Frau vor ihm Platz nahm. Längst verloren geglaubte Gefühle brachen sich Bahn. Dabei hatte das überirdische Wesen noch nicht einmal ein Wort mit ihm gewechselt. Er glaubte nicht an Liebe auf dem ersten Blick und so verwirrte ihn seine eigene Reaktion auf seine Bewährungshelferin.

Die Frau, mit dem geschäftsmäßigen Verhalten und den streng zurückgekämmten Haaren konnte auch nicht mit ihrer, wie er vermutete, absichtlich unvorteilhaften Kleidung ihre Reize verbergen. Unwillkürlich schaute er auf ihre Finger, um nach einen Ring zu suchen, er fand keinen. Ramona Sommer war eine Frau mit außergewöhnlicher Ausstrahlung. Man konnte auf den ersten Blick nicht sagen, woran das liegt aber es war mehr als nur das Erscheinungsbild. Unbestritten war ihre wohlproportionierte Figur mit Rundungen an den richtigen Stellen. Rote Haare und ausgeprägten Wangenknochen, die zu einem Gesicht mit stechenden, grünen Augen gehörten. Dass was man eine ausgeprägte Schönheit nennen konnte, war sie nicht, dennoch kam sie dem sehr nahe. Er saß im Gespräch ihr gegenüber. Das mit der unvorteilhaften Kleidung traf allerdings nicht von der Hüfte abwärts zu. Einen Tisch zwischen ihnen gab es nicht und so bewunderte er ihre Beine, die in roten Schuhen mit langen, dünnen Absätzen steckten. Anfangs fragte sie nach persönlichen Fakten, etwa nach Alter und Beruf. Danach teilte sie die üblichen Verhaltensregeln mit. Er starrte immer nur auf ihre Beine, ihr ins Gesicht zu schauen wagte er nicht. Sie war einfach unerreichbar für ihn und so nahm er sich, was er bekommen konnte, den Anblick makelloser und nicht enden wollender Beine die in weißen, fast durchsichtigen Strümpfen steckten. Wenn sie sich richtig Positionierte konnte man unter ihrem Rock die kunstvolle Webkante der halterlosen Strumpfware sehen. „Herr Rudolph, gibt es noch Fragen?" Jäh wurde er aus seinen Phantasien gerissen.

Es meldete sich sein schlechtes Gewissen. Das war Verrat an seiner toten Ehefrau. Fest hatte er sich vorgenommen, nie wieder eine Frau so dicht an sich heranzulassen. Wer Abstand wahrte, konnte auch nicht so tief verletzt werden, wie es ihm mit seiner nicht mehr vorhandenen Familie erging. Doch nun fühlte er sich von der ersten Frau, die er nach über 8 Jahren traf, magisch angezogen. Er freute sich, sie bald in ihrem Büro wiederzusehen. Es war schon verrückt, wer suchte schon gern seinen Bewährungshelfer auf? Das war ja geradezu so, als ob er seinem nächsten Zahnarzttermin entgegenfieberte. Wer weiß? Wenn sie Zahnärztin gewesen wäre, hätte er womöglich auch seiner Wurzelbehandlung freudig entgegengesehen. Jedenfalls lag er grinsend die letzte Nacht in seiner Zelle und der Zellengenosse deutete dies als Vorfreude auf seine Entlassung.

Es war so weit. Jimmy Pop stand vor dem Tor der Haftanstalt und studierte den Plan, mit dem er seine neue Behausung Lokalisieren wollte. Er hatte keine großen Besitztümer mehr. Sein Haus wurde zwangsversteigert und seine ganze Habe landete auf dem Müll. Er würde in einem unmöblierten Einzimmerappartement wohnen. Frau Sommer, seine Bewährungshelferin, hatte ihm auch ihre Adresse gegeben, bei der er sich kostenlos einen gebrauchte Matratze abholen konnte. Sie schien ihm zu vertrauen. Immerhin war es ihre Privatadresse. Er könnte auch auf den Boden schlafen, dachte er, aber dann würde er Frau Schwarz nicht so schnell wiedersehen. Ein paar Euro hatte er sich im Knast erarbeitet. Er beschloss ein Bettgestell, Toilettenartikel und etwas zu Essen zu kaufen. Dann wäre es bestimmt auch schon 18.00 Uhr und er könnte seiner vom Amt zugeteilten Sozialarbeiterin zu dem vereinbarten Termin aufsuchen.

Alles war geregelt. Er hatte sich in Ermangelung eines Kühlschrankes Dosennahrung besorgt. Viel schlechter wie dass, was er in den letzten Jahren vorgesetzt bekam, würde es auch nicht schmecken. Das Bettgestell hatte er von einer älteren netten Dame erhalten, die in den Kleinanzeigen inseriert hatte. Den Lohn, den er dafür zahlen musste, war ein Gespräch mit der einsamen Frau. Er bezahlte ihn gern, wohlwissend, dass er ebenfalls erst einmal mit der Einsamkeit kämpfen musste. Er hatte für den Transport sogar ihr Auto nehmen dürfen. Es war ein alter Lada Niva, der ihrem verstorbenen Mann gehörte. Der TÜV war schon seit Jahren abgelaufen und eine Versicherung war bestimmt auch nicht bezahlt. Er nützte das Gefährt trotzdem, seine erste Straftat nach nur drei Stunden in der Freiheit. Es war ihm egal, sollte er erwischt werden, dann würde er eben dorthin gehen, wo er gerade herkam.

Er genehmigte sich ein Bier und eine Wurst an einem mobilen Verkaufsstand. Es war noch zu früh, um die Frau mit der Mischung aus gestrengem Blick und den sexy Beinen aufzusuchen. Erste Zweifel machten sich in ihm breit. Hatte er eine Chance bei so einer mitten im Leben stehenden Frau? Immerhin wusste sie, was er vor 8 Jahren getan hatte und eine sichere Zukunft konnte er ihr auch nicht bieten. Wie auch immer, er würde es versuchen. Er kaufte noch einen Strauß roter Rosen und hoffte, sie verstand diese Symbolik. Punkt 18.00 Uhr stand er aufgeregt wie ein Teenager vor ihrer Wohnungstür, nestelte an seiner Kleidung und klingelte.

„Herr Rudolph, sie wissen doch, dass ich keine Geschenke annehmen darf", begrüßte seine Bewährungshelferin ihren Mandanten. „Es sind doch nur Blumen", meinte er. „Sehen sie es als eine Art der Bezahlung für die Matratze." Sie durchbohrte ihn mit ihrem Blick. „Wenn sie die nicht wollen, muss ich sie wegschmeißen, ich habe keine Vase", versuchte er es erneut. Mit einem harmlosen Lächeln hielt er den Strauß ihr entgegen. Jetzt sah er sie das erste Mal schmunzeln. „Es wäre Verschwendung, die schönen Rosen einfach zu entsorgen", gab sie ihm plötzlich recht und nahm das blühende Gestrüpp an sich. Der Typ, der eiskalt einen Menschen angezündet hatte, war für sie ein Rätsel. Es passte nicht, zu seiner sonst so angenehmen Art. Allerdings wusste sie auch, was dieser Mensch vorher durchgemacht hatte und es fiel ihr schwer, Distanz zu wahren.

Sie führte ihn auf direktem Weg zu dem Polster für sein Bett. Er hatte gehofft, wenigstens ein Kaffee mit ihr trinken zu können. Verdammt, er hätte zu den Blumen noch eine Packung mit den braunen, gerösteten Bohnen mitbringen sollen. Sozusagen als Wink mit dem Zaunpfahl. „Sie haben kein Auto, ich würde ihnen sogar die Matratze nach Hause fahren", bemerkte sie, als er das gute Stück in Augenschein nahm. Hoffnung keimte in ihm auf. Er dachte an den nicht weit vor ihrer Wohnung geparkten Lada Niva und sagte trotzdem „Danke, das wäre nett."

Thomas blickte die Frau, dessen Vornamen er immer noch nicht kannte, neben sich am Lenkrad an. Eine Konversation zu beginnen, gehörte nicht zu seinen Stärken. „Haben sie keine Angst, einen Mörder durch die Gegend zu Fahren?" Frau Sommer, die sich bisher nur auf den Straßenverkehr konzentriert hatte, drehte jetzt ihren Kopf zu ihm. „Im Leben muss man manchmal auch etwas wagen", erwiderte sie lächelnd. „Um was zu gewinnen?", wollte er ihr entlocken. Die Antwort blieb sie ihm schuldig. Sein Plan stand fest. Glücklicherweise hatte er sich neben den Lebensmitteln auch eine Billigkaffeemaschine geleistet. An seiner Behausung angekommen bestand er darauf, das Ungetüm von Matratze die Treppe allein heraufzutragen. Sie sollte lediglich vorweg gehen und darauf achten, dass der Weg frei ist. An der Wohnungstür angekommen nahm er allen Mut zusammen, um sie zu einem Kaffee einzuladen. „Ich weiß nicht ...", begann sie zögerlich. Der Mann neben ihr war so ... unbeholfen und niedlich, und doch soll er einen Menschen umgebracht haben. Nun zitierte Thomas „Im Leben muss man manchmal auch etwas wagen", was seiner Bewährungshelferin ein Schmunzeln abnötigte. „Also gut", sagte sie und lief vor ihrem Schützling, der sich mit dem unhandlichen Ding durch die Türzarge kämpfte, in seine neue Heimstätte.

„Ein bisschen spartanisch eingerichtet", meinte sie, als er in Windeseile erst mal das Bettgestell zusammenbaute. Dies war notwendig, da er noch nicht einmal einen Stuhl besaß. Sein einziges Bettlaken warf er über die Matratze und deutete Frau Sommer an, sie solle sich setzen. Er selbst setzte den Kaffee auf und baute schnell einen provisorischen Tisch aus einer Transportbox und einem Schrankbrett der vorhandenen Küchenzeile, während das dunkle Heißgetränk schon seinen Duft im Raum verströmte.

Acht Jahre Gefängnis und davor über sieben Jahre mit Simone, seiner Frau. Er wollte ein Kompliment machen, war aber 15 Jahre raus aus dem Geschäft. Er hätte Simone auch in der Ehe mehr Komplimente machen sollen, jetzt war es zu spät, kam ihn in den Sinn. Nun war er vollkommen unbeholfen, was das anging. „Bedrückt sie etwas?", fragte Frau Sommer, die seinen Gesichtsausdruck nur teilweise richtig deutete, als er ihr eine Tasse mit dem koffeinhaltigen Trank überreichte. Ihm fiel nur eine Antwort ein. Dass sie ihn an seine Frau erinnerte, würde sie bestimmt nicht hören wollen. Das war sicherlich kein Kompliment für sie, wenn es auch aus seiner Sichtweise genau dies die höchste Auszeichnung darstellte, die er zu vergeben hatte. Stattdessen stammelte er irgendwas von ihren schönen Händen, die gerade aus den Seinen eine Kaffeetasse in Empfang genommen hatten. Was bist du doch für ein Idiot!, dachte er.

„Was bist du doch für ein Idiot!", echote es. Das Echo fand aber nicht in seinem Kopf statt. Tatsächlich hatte dies gerade Frau Sommer zu ihm gesagt. Sie hielt den tapsigen Bären, der neben ihr auf einem Bett saß, nicht mehr aus. Er war einfach zu feige, auszusprechen was er dachte und so gab sie ihm einen Stoß. „Willst du mit mir schlafen?, fragte sie direkt heraus. Wenn der weiter so herumeiert wird das nie was, dachte sie gleichzeitig. Ihre Hand strich über seinen Oberschenkel, als er endlich beschloss, aktiv zu werden. Er war körperlich ein Riese von knapp zwei Meter, auch die Gesamtheit seiner Körperteile konnte proportional mithalten, inklusive des Teiles zwischen seinen Beinen. Seine Lippen näherten sich dem Objekt seines Verlangens. Ein kurzer aber intensiver Kuss entlockte er seiner Gespielin, bevor diese ihm auswich und mit ihrer Hand an seinem fast zum Platzen gespannten Glied innerhalb der Hose herumspielte.

Er hielt es kaum aus. In ihrer Iris konnte er sein Gesicht erkennen und ihm war so, als würde er sich jeden Augenblick dematerialisieren, um in ihr aufgenommen zu werden. Seine persönliche Saturn-5 Rakete stand auf der Abschussrampe, bereit abzuheben, und der Countdown war schon bei den einstelligen Zahlen angekommen. Seine Copilotin war aber noch nicht an Board und so befürchtete er, allein den Mond zu betreten. Dann hob er ab und Major Tom war solo unterwegs. Er wendete sein Gesicht ab, um den strafenden Blick der Astronautin, die sich gerade mal in der Aufwärmphase befand, nicht ertragen zu müssen. „Das macht doch nichts, das kann doch jeden ...", wollte sie ihn aufmuntern. „Nein!", schrie er. Ihn demütigte der Satz mehr als sein Versagen. Stumm saß sie auf dem Bett und schaute ihn an.

Seit der ersten Minute, in der er ihre Bekanntschaft gemacht hatte, stellte er sich vor, wie es wohl mit ihr wäre. Er hatte sich tausend Szenarien vorgestellt. Er hielt sie allesamt für unrealistisch, weil er es nie für möglich gehalten hatte, bei der Frau, die seine Vorgeschichte genau kannte, zu landen. Jetzt, wo er unerwartet die Chance bekommen hatte, legte er eine Bruchlandung hin. „Du bist immerhin acht Jahre aus der Übung", versuchte sie es erneut. Sie schmiegte ihren warmen, weichen und wohlgeformten Körper an ihn. Er war unsicher und wollte sich nicht erneut blamieren. Seine Hände schoben sie von ihn weg. „Es ist wohl besser, wenn du jetzt gehst", forderte er sie mit monotoner Stimme auf, während seine Augen einen Punkt in der Unendlichkeit fixierten. Sie begriff sofort, dass es ihm Ernst war und begab sich zur Wohnungstür, die sie leise hinter sich zumachte.

Er war wütend, vor allem auf sich. Es ist ihm nicht gelungen, eine einfache Beziehung aufzubauen. Scheiße, dabei hatte sie ihm es so einfach gemacht, dass selbst ein Außerirdischer bei ihr zum Abschluss gekommen wäre. Die Jahre im Knast hatten ihn mehr verkorkst, als er sich eingestehen wollte. Er würde nie wieder eine normale Beziehung mit einer Frau haben, dachte er, während er den Kaktus, den er seit acht Jahren liebevoll gepflegt hatte, mit seinen Händen wie eine Zitrone ausquetschte. Ihn irritierte dabei nur, dass der Schmerz der dabei entstand, zu seiner Beruhigung beitrug. Dann würde er eben den Rest seines jämmerlichen Lebens als einsamer Eremit verbringen. Er verband seine stark blutenden Hände und legte sich schlafen.

Ein Treffen mit ihr konnte er nicht umgehen. Schließlich war sie seine Bewährungshelferin und er hatte die Auflage, sich wöchentlich bei ihr zu melden. Heute war der dritte Tag in Freiheit und es war so weit. Am liebsten wäre er im Boden versunken als er den Weg in ihr Büro antrat und es wunderte ihn, dass er überhaupt die Kraft dafür aufbrachte. Frau Sommer, die mit Vornamen Ramona hieß, wie er dem Schild an ihrer Bürotür entnahm, begrüßte ihn nach allem, was vorgefallen war, etwas reserviert. Er hatte sich Worte für eine Entschuldigung zurechtgelegt, die ihm aber nur schwer über die Lippen kamen. Der barsche Ton, mit der er sie weggeschickt hatte, musste sie verletzt haben und er wollte es wieder gutmachen. Sie behandelte ihn wie einen normalen Klienten und ging die Punkte zu seiner Wiedereingliederung in die Gesellschaft durch. Es sah so aus, als hätte er sie für immer verloren, seiner Abbitte widmete sie kein Wort.