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Die Buchlesung Teil 02

Geschichte Info
Ein verflixter Abend und seine Folgen.
9.2k Wörter
4.5
24.6k
2

Teil 2 der 2 teiligen Serie

Aktualisiert 06/07/2023
Erstellt 03/18/2016
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Scham, Bestürzung, Peinlichkeit -- das war alles, was Mark in diesem Augenblick empfinden konnte, gepaart mit dem Willen, jetzt und hier in den Boden zu versinken.

"Hallo?", keifte die wütende Stimme wieder.

Langsam hob er den Blick; wanderten seine Augen irritiert über eine nahtlos enge Jeans, welche perfekte, schlanke Beine bedeckte; erreichten sie eine grüne Chiffonbluse; blieben sie für Sekunden an einem üppig gefüllten Dekolletee haften -- ehe sie in katzenartige, vor Zorn sprühende Augen blickten. Da war keine Ironie mehr, kein Spott, kein verhaltener Humor.

"Was erlauben sie sich?", ereiferte sich Andrea Sawatzki direkt vor ihm stehend. „Sie besuchen hier eine Buchlesung! Das ist kein Schlafsaal! Wenn sie müde sind, fahren sie nach Hause und kriechen sie zu ihrem Frauchen ins Bett!"

Erstes Kichern anderer Gäste wurde laut.

"Sie sind ein respektloser Mensch! Ich versuche hier, meinem Publikum etwas zu bieten, zu unterhalten! Wenn ich sie langweile, dann bleiben sie einfach zu Hause und schauen sie sich die nächste Dschungelshow an, da wird sicher auch für ihren Intellekt etwas dabei sein!"

Wütend schaute sie auf ihn herab, redete sich in Fahrt. Und dennoch, für die Dauer eines Wimpernschlages hatte sie auf die Hand in seinem Schoß geschaut, konnte man ein verstecktes Schmunzeln in ihrem zornesroten Gesicht erkennen.

Mark hatte keine Ahnung, wie er dieser völlig verfahrenen, verqueren Situation begegnen sollte, geschweige denn, wie es ihm gelingen konnte, sein Gesicht als Fan von Andrea Sawatzki zu wahren.

"Oh Mann ...", murmelte er verschämt und rieb sich die Augen. „Entschuldigen Sie bitte, Frau Sawatzki. Es tut mir so leid! Ich wollte sie nicht verärgern, ich habe allerhöchsten Respekt vor ihnen und ihrer Arbeit! Aber der Weg hierher, er war lang und ich musste durch den Schnee laufen. Dann die Wärme hier im Raum, der Glühwein, das alles hat mich wohl ziemlich umgehauen!"

"Dann wäre es vielleicht besser, wir würden in Zukunft Feldbetten oder gar Hängematten hier aufstellen?!". Der wütende Hohn in ihrer Stimme war nicht zu überhören. „Bleibt zu hoffen, dass die letzten Zuhörer, die dann während meiner Lesung nicht einschlafen noch etwas von meiner Stimme wahrnehmen, bei all dem Schnarchen!"

Wieder ertönte leises Kichern und amüsiertes Murmeln unter den anderen Gästen.

Mark konnte fühlen, wie ihm die Schamröte ins Gesicht stieg.

"Bitte, Frau Sawatzki, lesen sie weiter. Ich schwöre bei allem was mir heilig ist, dass ich mir solch einen Fauxpas nicht wieder leisten werde!", nuschelte Mark in höchster Verlegenheit.

"Das will ich für sie hoffen! Ich behalte sie im Auge!", rief Andrea Sawatzki gereizt, als sie bereits auf dem Weg zurück zu ihrem Sessel war.

Noch einmal ein Kopfschütteln, dann wand sie sich wieder professionell lächelnd dem Publikum und ihrer Biografie zu.

Mark saß jetzt wie versteinert, nicht fähig, der sanften Stimme seiner Ikone zu folgen. Lediglich Bruchstücke einzelner Sätze erreichten ihn. Zu sehr nahm ihn die Blamage seiner Schlafattacke und die Erinnerung an seinen Traum gefangen. Andrea Sawatzki hatte es sich auf seinem Gesicht besorgt, wollte von ihm gefistet werden. War das tatsächlich die Frau, welche nur wenige Meter von ihm entfernt, routiniert aus ihrem Buch las?

Er war durcheinander, fast verstört. Gedanken und Gefühle fuhren Achterbahn.

Auch nach einer weiteren halben Stunde, als die Lesung dem Ende entgegen ging, konnte er noch immer nicht fassen, wie unwirklich und ungeplant dieser Abend verlaufen war.

Andrea Sawatzki verließ nach einem kurzen Applaus gemeinsam mit dem Fernsehteam hektisch den Leseraum, die anderen Gäste begaben sich zu ihren Autos oder ließen sich abholen.

Mark hatte es nicht eilig. Kerstin würde ohnehin schon schlafen, wenn er nach Hause käme und draußen war es bitterkalt. Nichts drängte ihn in die eisige Nacht. So entschied er sich, noch einmal zur Toilette zugehen um sich dann langsam und in aller Ruhe seine halbwegs getrocknete Jacke überzuziehen.

Später stand Mark allein und frierend draußen in der Kälte, unentschlossen, wie er nach Hause kommen sollte. Obwohl ihn die Müdigkeit nicht mehr beherrschte, hatte er nicht die geringste Lust, sich wieder zu Fuß in Richtung S-Bahn durchzuschlagen.

Außerdem wusste er nicht, ob die Bahnen nun wieder regelmäßiger fahren würden.

So stiefelte er mürrisch durch den hohen Schnee zu dem Parkplatz im Hof der Buchhandlung.

Dort wollte er sich mit dem Handy ein Taxi zu bestellen und hoffte, dort ein wenig geschützt von Schnee und Wind zu sein.

Gerade als er das Telefon aus der Innentasche seiner Jacke holen wollte, öffnete sich die Hintertür des Hauses und Andrea Sawatzki verließ eilig das Gebäude. Sie hatte eine dicke Wollmütze tief in ihr schönes Gesicht gezogen, ein warmer Schal schütze ihren Hals. Hätte Mark nicht geahnt, dass es sich um seinen Star handelt, er hätte sie mit Sicherheit nicht beachtet.

Eilig, mit gesenktem Kopf, steuerte Andrea auf einen großen, nicht mehr ganz neuen Mercedes zu, welcher in einer spärlich beleuchteten Ecke des Hinterhofes geparkt war.

Während Mark an seinen Handschuhen nestelte um sein Handy bedienen zu können, versuchte Andrea ihr Auto in Gang zu setzen. Ein paar mal war zu hören, wie die Maschine versuchte anzuspringen. Man konnte jedoch deutlich wahrnehmen, dass dem Anlasser die Kraft fehlte, um den Motor zu starten.

Mark starrte in die Dunkelheit, nicht sicher, wie er sich verhalten sollte.

Frau Sawatzki brauchte Hilfe, keine Frage.

Aber wie würde sie reagieren, wenn er auf ihr Auto zuginge, als Fremder, auf einem menschenleeren Parkplatz, in der Nacht. Oder hatte sie sich bereits dazu entschieden wieder auszusteigen, um Hilfe zu holen? Telefonierte sie womöglich schon mit einem Freund, ihrem Ehemann, um abgeholt zu werden? War der ADAC schon auf dem Weg zu ihr?

Blöde Situation, aber irgendwie passend zu einem Abend voller Pannen.

Noch während Mark über all das nachdachte, konnte er im Halbschatten ausmachen, wie Andrea sich wütend ihre Mütze vom Kopf riss, an dem dicken Wollschal um ihren Hals zerrte und unbeherrscht auf das Lenkrad einschlug. Sie schien außer sich vor Zorn.

War sie tatsächlich eine Diva? Eine jähzornige, erfolgsverwöhnte Person, die mit einer solchen Situation nicht umgehen konnte?

Mark wollte nicht mehr warten und nachdenken, er entschied sich zu helfen. Langsam und bedächtig, das wenige Licht des Hofes ausnutzend, ging er auf den Mercedes zu. Er hoffte inständig, dass Andrea Sawatzki ihn früh genug sehen würde damit sie nicht in Panik geriet, wenn er unvermittelt an das Autofenster klopfen würde.

Sein Plan funktionierte. Er war noch gut einen Meter von Auto entfernt, als Andrea hilflos zu ihm schaute und resignierend die Hände hob. Mit einer beruhigenden Geste trat Mark nun an die Fahrerseite des Wagens heran und rief: „Kann ich Ihnen helfen?"

"Ja!", drang es fast kläglich zu ihm nach draußen, während Andrea das Fenster öffnete.

„Dieses dämliche Auto springt nicht an. Die Batterie macht mir seit gestern Probleme."

"Ich könnte versuchen, Starthilfe zu geben und das Auto anzuschieben.", bot Mark an.

"Das ist ein Mercedes! Trauen sie sich das zu?"

Spott.

Sie hatte sich im Griff, war wieder ganz die alte.

"Ich bin kein Greis, Frau Sawatzki!", entgegnete Mark trotzig. „Der Parkplatz ist groß genug und verfügt über ein geringes Gefälle. Ihr Auto ist ein Schaltwagen und mit Glück ist der Schnee noch nicht zu hoch. Ich werde mein Bestes geben!"

Sie lächelte.

Das erste Mal an diesem Abend schien die Professionalität aus ihrem Gesicht zu verschwinden.

Ihre Gesichtszüge wurden weich.

"Wie lieb von Ihnen! Dann lassen Sie es uns versuchen."

Mark stapfte hinter den Benz, versuchte, sich in Position zu bringen, Halt zu finden.

"Handbremse gelöst, Zündung an?", rief er und freute sich insgeheim bereits auf ihre zickige Reaktion die keine zwei Sekunden auf sich warten ließ.

"Ich bin rothaarig, junger Mann, nicht blond! Ich will doch hoffen, dass sie zusätzlich zu ihrer Narkolepsie nicht auch noch an Farbenblindheit leiden!"

Sarkasmus.

Mark grinste.

Sie hatte ihn erkannt.

"Ok, dann los!", rief er fast fröhlich.

Mit aller Kraft stemmte sich Mark jetzt gegen den Kofferraum des Mercedes. Zentimeter um Zentimeter gelang es ihm, das Auto zu bewegen bis es schließlich in der Lage war, allein zu rollen.

"Jetzt", brüllte er. "Zweiter Gang! Kupplung langsam kommen lassen!"

Andrea nickte, der Mercedes wurde laut blubbernd durchgeschüttelt und sprang an.

Mit einem Freudenschrei trat Andrea das Gaspedal immer wieder durch, wollte der Batterie umgehend Gelegenheit geben, sich neu zu laden.

Mark ging siegessicher grinsend um das Auto herum.

"Na, zufrieden, Frau Sawatzki?", schmunzelte er stolz.

"Absolut! Sie sind mein Held!", trotz der Ironie strahlten ihre grünen Augen wie Smaragde. „Kann ich ihnen zum Dank etwas Gutes tun? Ein Kaffee oder ein Glas Wein?"

Mark stutze.

Hatte er das heute nicht schon mal gehört?

Nein! Hatte er nicht! Er befahl sich, die Gedanken an seinen feuchten Traum in der letzten Hirnzelle seines Hinterkopfes zu verbannen.

"Kaffee wäre gut. Ist verdammt kalt heute Nacht. Kennen Sie ein Restaurant, welches um diese Zeit hier noch geöffnet hat?"

"Fein!", rief Andrea. „Dann steigen Sie ein. Ein Restaurant ist mir zu blöd, ich bin müde und koche selbst guten Kaffee. Außerdem wohne ich praktisch hier um die Ecke. Wilmersdorf, am Kudamm."

Ein greller Blitz der Freude durchzuckte Mark.

Andrea Sawatzki hatte IHN gerade zum Kaffee eingeladen.

IHN!

Zu sich nach Hause!

Mark dachte nicht mehr nach. Nicht an Kerstin und nicht daran, wie er nach Hause kommen sollte.

Geschickt steuerte Andrea das Auto durch die Nacht, Eis und Schnee schienen ihr nichts auszumachen. Sie war eine routinierte Fahrerin.

Mark versuchte, sich in den weichen Polstern des Beifahrersitzes zu entspannen. Es gelang ihm nicht. Er war zu aufgeregt. Verstohlen schaute er immer wieder zu ihr hin, bewunderte ihr ebenmäßiges Gesicht, das feuerrote Haar, den langen schlanken Hals, ihren hellen Teint. Sicher, ihre Haut war nicht mehr so straff wie vor 20 Jahren, auch konnte man nun, direkt und aus der Nähe, die Fältchen auf der Stirn und um ihre Augen deutlich sehen, aber all das gehört einfach zu ihr, machte sie einmalig und unverwechselbar. Ihr Mund schien ständig zu einem Lächeln verzogen zu sein, selbst jetzt, als sie konzentriert nach vorn auf die Straße schaute.

"Können Sie es nicht glauben, dass ich Sie einfach so zu einem Kaffee einlade?", fragte Andrea plötzlich in die entstandene Stille.

"W ... ww ... warum?", stotterte Mark.

"Weil Sie mich die ganze Zeit anstarren, als müssten Sie sich versichern, dass ich es wirklich bin."

Spott.

"Nein!", beteuerte Mark. „Das ist es nicht. Ich freue mich einfach, dass sich diese Gelegenheit ergeben hat."

"Und deswegen stieren Sie mich an?" Ihre Augen blitzen schelmisch im diffusen Licht der Leuchtreklamen und Straßenlaternen.

Mark wurde ärgerlich. Sie nahm ihn wirklich nicht für voll. Zum zweiten Mal an diesem Abend.

"Ich schaue Sie an, weil Sie die schönste Frau sind, die ich je gesehen habe."

Helles Lachen.

"Ich?" Zweifelnd hob sie die Augenbrauen. "Mit Sicherheit nicht! Ich bin eine alternde Schauspielerin, die verzweifelt versucht, noch ein paar Jahre im Rampenlicht zu stehen. Nicht weil ich den Ruhm brauche, sondern weil ich nichts anderes kann und nie etwas gelernt habe, als Rollen zu spielen und Menschen zu unterhalten!"

"Sie sind nicht alt!"

"Oh doch! Mit 52 Jahren ist jede Frau für die Unterhaltungsbranche zu alt. Das können sie mir gern glauben."

"Tu ich nicht! Außerdem gibt es noch die private Andrea Sawatzki. Die Frau, die wunderschön und beeindruckend ist und über die ich noch sehr viel erfahren möchte. Weil ich sie verehre und sehr schätze. Und mit genau dieser Frau werde ich nachher Kaffee trinken!"

Mark hatte keine Ahnung, woher er den Mut für solche offenen Worte nahm.

Andrea schmunzelte. Marks Worte schienen ihr gut zu tun.

Es war dieses ehrliche, natürliche Lächeln, welches ihr filigranes Gesicht sanft und sensibel werden ließ.

Dann, ganz plötzlich und unvermittelt, füllten sich ihre Augen mit Tränen.

Mark erschrak. Hatte er etwas Falsches gesagt? War er zu weit gegangen?

"Was ist los?", fragte er beinahe schüchtern.

"Ach ... nichts, eigentlich. Nichts, was hier her gehört. Nichts, wobei sie mir helfen könnten. Belassen wir es bitte dabei."

Fast trotzig wischte sich Andrea mit dem Handrücken über die Augen und schwieg.

"Es ist der Stress, wissen Sie.", erklärte sie nach ein paar Minuten bedrückender Stille dann doch. „Nehmen Sie heute Abend als Beispiel, ich musste den ganzen Tag von einem Termin zum nächsten hetzen, dann springt dieses blöde Auto nicht an! Mein Management betreut mich eher lausig, seit die Anfragen für Rollen nicht mehr im Wochentakt bei ihnen einfliegen. Sie sehen es ja, ich hatte keine Begleitung, keinen Visagisten, keinen Hairstylist, nicht mal einen Fahrer haben sie mir gestellt. Dafür musste ich mich vorhin mutterseelenallein mit dem dilettantischen Regisseur dieses ‚Heimatsenders' herumärgern, der mir sonst was weiß machen wollte. Ich habe das Gefühl, ich werde allein gelassen, weil mir diese Buchlesungen wichtiger sind als irgendwelche dämlichen Auftritte in zweitklassigen Talkshows, wo es den Machern eher auf mein Dekolletee ankommt als auf das, was ich zu sagen hätte."

Mark spürte, wie sich Hitze auf seinem Gesicht ausbreitete. Er fühlte sich ertappt, realisierte zum ersten Mal, wie klein und dümmlich sein Fanverhalten bisher war, wie sehr er diese tolle Frau reduziert hatte.

Noch immer schwammen Tränen in ihren schönen Augen.

Andrea redete weiter, ein regelrechter Gefühlsausbruch folgte:

"Sehen Sie, mein Mann und die Kinder sind seit dem 20. Dezember in Österreich beim Skiurlaub. Kitzbühel - wie nett! Tolles Nachtleben, was meinen Gatten sicher in jeder Nacht erfreut, wenn die Kinder erstmal schlafen!"

Beißender Sarkasmus.

Mark war völlig verblüfft. Er konnte nicht fassen, wie offen Andrea über sich und ihr augenscheinlich wenig glückliches Leben sprach. Mark konzentrierte sich schweigend auf ihre Worte. Er spürte, dass das Zuhören jetzt wichtiger war als eine Erwiderung.

"Dieser Flegel hat mich nicht einmal gefragt, ob ich es schaffe, wenigstens für die paar Tage an Weihnachten zu ihm kommen.", ereiferte sich Andrea mit ehrlichem Zorn in der Stimme. „Ich weiß nicht mehr, wann mein Mann mir zum letzten Mal gesagt hat, dass er mich liebt. Privatleben oder Intimität kennen wir schon lange nicht mehr, selbst wenn ich nichts oder nicht viel zu tun habe. Er sorgt dann dafür, dass er keine Zeit hat - oder haben will. "

Andrea schniefte laut und wischte sich wieder die Tränen von den Wangen.

Es entstand eine kurze Pause.

"Entschuldigen Sie!", murmelte sie dann nervös. „Ich quatsche Sie hier zu und weiß nicht einmal Ihren Namen."

"Mark. Mark Kämmerer."

Mehr sagte er nicht, wollte sich nicht in den Vordergrund drängen. Andrea gingen gerade die Nerven durch. Sie brauchte jemanden zum Reden, musste Ballast von ihrer Seele abwerfen.

"Ich hoffe, Sie halten mich nicht für hysterisch.", gab Andrea ehrlich zu. „Aber manchmal muss ich einfach mit jemanden reden, meinen privaten Scheiß loswerden. Wen habe ich denn? Meinen Mann? Der hört schon lange nicht mehr zu. Freunde? Ich weiß nie, ob die nicht am nächsten Tag zur Bildzeitung rennen und sensationelle Neuigkeiten über Andrea Sawatzkis Privatleben für ein paar Hundert Euro verkaufen würden! Ich glaube fast, ich bin ein Fall für die Telefonseelsorge."

Sie lachte, hart und bitter.

Mark nickte. Er verstand ohne sich zu verstellen.

"Ich hasse es mittlerweile in den Spiegel zu schauen!", brach es jetzt richtiggehend aus Andrea hervor. „Jedes graue Haar, jede neue oder tiefer gewordene Falte ist in meinem Geschäft eine Bedrohung. Die Medien wollen junge Mädchen, knackig und sexy. Eine wie ich, mit Hängetitten und schlaffem Bauch hat da keine Chance mehr. Und niemand hat auch nur im Ansatz eine Ahnung davon, die beschissen sich eine alternde Frau fühlt, wenn sie sich trotzdem wieder in ein Abendkleid Größe 36 presst, lächelnd ihre Euter in die Kamera hält und unter gefühlten 5 kg Make up kaum zu atmen wagt!"

Obwohl trotz ihres verbitterten Sarkasmus auch gehörige Wut in ihrem Worten mitschwang, wusste Mark, dass Andrea nicht jammerte.

Sie war stark, selbstbewusst und ehrlich. Eben nur ehrlich. Und sie brauchte für ihren Gefühlsausbruch einen aufmerksamen Zuhörer, der sie nicht verurteilte.

Mark war dem Himmel dankbar, dass es sein Geheimnis war und bleiben würde, wie oft er beim Anschauen ihrer Fotos onaniert hatte, in was für schmutzige, verdorbene Situationen er sich geträumt hatte.

Irgendwie erfüllte es ihn mit Stolz, dass er heute Nacht die starke Schulter sein durfte, welche diese sensible und verletzliche Frau brauchte.

Währenddessen waren beide bei Andreas Wohnung angekommen. Schweigend stiegen sie aus dem Auto, benutzen den Fahrstuhl um in den 3. Stock zu gelangen.

Leise seufzend schloss Andrea die Türe auf und bat Mark herein. Mit klopfendem Herzen betrat er die typische Altbauwohnung. Hohe Decken mit wunderschönem Stuck, knarrender Parkettboden, alte, verschnörkelte Türgriffe an schweren Eichenholztüren, große, weitläufige Räume. Die Wände waren in nüchternem Weiß getüncht. Viele Fotos, Bücher, Gemälde und Grünpflanzen verliehen vor allem dem Wohnzimmer, in welches Mark von Andrea geführt wurde, eine lebendige und gleichzeitig gemütliche Atmosphäre.

Achtlos warf Mark seine Jacke auf einen der 3 Sessel im Raum, nachdem er sein Handy aus der Innentasche gefischt hatte, um später ein Taxi zu rufen.

"Nimm Platz!", sagte sie leise und deutete auf ein gemütliches Ecksofa.

Mark schaute mit großen Augen. Sie hatte ihn geduzt!

"Möchtest du sicher nur einen Kaffee?", fragte Andrea jetzt, als würden sich die beiden schon jahrelang kennen.

"Danke, ja.", entgegnete Mark.

"Sie ...du ...ähäm ...hast ... haben ... mich eben geduzt.", stellte er verlegen fest.

"Ja!", entgegnete Andrea kurz und ging ohne weitere Erklärung aus dem Zimmer.

Mark blieb allein zurück mit seinen Gedanken und Gefühlen die mittlerweile Achterbahn fuhren.

Er hatte sich so getäuscht! Wie sehr hatte er sich in Andrea Sawatzki geirrt!

Sie war nicht arrogant, nicht hochnäsig.

Sie war einsam!

Einfach allein.

Die große Diva, welche in der Öffentlichkeit so souverän und selbstsicher auftrat war allein gelassen und hatte niemanden, bei dem sie ihre Maske abstreifen und sie selbst sein konnte.

Während Mark sich unsicher in dem großen Raum umschaute und die Familienfotos auf dem Regal neben dem Sofa betrachtete, betrat Andrea wieder das Wohnzimmer.

"Ich hoffe, es stört dich nicht, das ich mir etwas Bequemes angezogen habe.", bemerkte sie und servierte frisch gebrühten Kaffee.

Mark schaute Andrea an. Sie hatte ihre auffällige Kleidung mit einem schlichten karamellfarbenen Wollpullover, gleichfarbigen Leggins und dicken braunen Wollsocken, welche ihr bis über die Fußknöchel reichten, getauscht. Ihr Haar trug sie noch immer offen, die feuerroten Locken passten wunderbar zu der dezenten Farbe ihrer Freizeitkleidung.

Wortlos setzte sie sich neben Mark auf das Sofa und zog die Beine nahe an ihren Körper.

"Nein, das stört mich ganz und gar nicht.", entgegnete er. „Du bist zu Hause und hast Feierabend, warum sollst du es dir nicht bequem machen?"

Sein Blick wanderte über ihren schmalen Körper und blieb wie auf einen geheimen Befehl hin wieder an ihren Brüsten haften. Weich und voll zeichneten sie sich durch den schmeichelnden Wollstoff ab. Andrea hatte auf einen BH verzichtet.

"Weil ich es nicht mehr gewohnt bin, außerhalb einer Rolle einfach nur ein privater Mensch zu sein.", erklärte Andrea offen. „Seit ich 18 Jahre alt war, spiele ich, kenne ich nichts anderes mehr. Ich mime die Glückliche, die Arrogante, die Unersättliche und bin doch eigentlich seit vielen Jahren nur müde. Sogar hier zu Hause, wenn mein Mann und die Kinder daheim sind, spiele ich eine Rolle. Ich gebe die glückliche, umsorgende Ehefrau und Mami. Etwas, dass ich wahrscheinlich nie war. Ich weiß es ja selbst nicht mehr. Der Beruf der Schauspielerin ist gefährlich, verstehst du. Man gleitet ohne zutun in diesen Drang, Menschen immer etwas vormachen zu müssen, zu wollen. Egal ob man sich und seiner Umwelt damit das Leben schwer macht. Ich meine immer, Erwartungen erfüllen zu müssen, welche die anderen womöglich gar nicht haben."

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