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Die erste Freundin von Michael 02

Geschichte Info
Michi und Jo sind in Lübeck bei seiner Mutter.
8.6k Wörter
4.33
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Dies ist die Fortsetzung einer Geschichte aus den frühen sechziger Jahren. Eine Geschichte, wo nicht alles so ist, wie es zuerst zu sein scheint. Sie handelt von dem verschlossenen, intelligenten aber entstellten Michael als dem erzählenden Protagonisten. Er kommt zu Besuch bei seinem angeblichen Cousin Jockel, der ungebildet und wohlbeleibt ist. Während des Besuches hat Michael Joanne kennengelernt. Er hat sein Herz für das pummelige Mädchen entdeckt. Er hat mit ihr getanzt und geflirtet, weil sie ihn, den wegen seiner Entstellung bisher von den Mädchen verschmähten Michael, akzeptiert und sogar süß geküsst hat. Zu seiner Überraschung stellte sich im Teil 1 der Geschichte heraus, dass Joanne und Jockel ein und dieselbe Person sind!

*

Teil 2

Vor dem Abschied

Mein Optimismus war zu groß gewesen. Ich hatte in dem emotionalen Überschwang die Realität aus den Augen verloren. Das Gespräch mit Babette brachte mich unsanft auf den Boden der Tatsachen zurück.

„Michael, Du hast gerade erst das Abi gemacht. Du weißt noch nicht, wie es in der Welt außerhalb der Schule zugeht. Deine Idee, dass ‚Joanne' als Musikfachhändlerin und Klavierstimmerin in dem Musikhaus Deiner Mutter arbeiten könnte, ist ja sehr ehrenhaft. Ich glaube ja auch, dass ‚Joanne' die praktische Arbeit als Klavierstimmerin schaffen könnte. Leider geht das so nicht. Joanne muss polizeilich gemeldet sein, wenn sie mehr als zwei Monate in einer anderen Gemeinde lebt. Es gibt aber nur einen Ausweis auf den Namen des jungen Mannes Johann-Joachim. Für eine Musikfachhändlerin oder eine Klavierstimmerin müsste Joanne eine Ausbildung als Fachhändlerin oder als Klavierbauer nachweisen oder jeweils eine solche Ausbildung beginnen. Siehst Du ‚Joanne' erfolgreich eine Berufsschule absolvieren, während sie in Deutsch und Mathe zwischen den Noten 5 und 6 pendelt? Und das ist noch nicht alles! Siehst Du Deine ewiggestrige Mutter, wie sie ‚Joanne' mit offenen Armen aufnimmt? Sie hasst meinen Verlobten George, weil er Amerikaner geworden ist. Sie verabscheut Wolgadeutsche als verkappte Russen. Was meinst Du, würde sie zu einer ‚Joanne' mit amerikanischem Ausweis sagen?"

Gott, ich hasste es, ihr Recht geben zu müssen. Aber alle drei Argumente waren stichhaltig. Es gab die Meldepflicht und ohne gültigen Ausweis ging das nicht. Wenn Joanne schon die Hauptschule nicht absolvieren konnte, dann waren die Hoffnungen, die höheren schulischen Anforderungen einer Berufsschule zu erfüllen, sicherlich ein sehr optimistischer Ansatz. Das letzte Argument war auch nicht von der Hand zu weisen. Wenn meine Mutter seit rund zwölf Jahren unsere Verwandten wegen George und Boris nicht besucht hatte, dann sprach das nicht unbedingt dafür, dass sie eine ‚Joanna' freudig aufnehmen würde, wenn diese nur amerikanische Papiere hatte. So leicht gab ich aber nicht auf:

„Babette, das mit den Papieren kann ich verstehen. Joanne kann ja als Jockel nach Lübeck gehen und meiner Mutter im Geschäft helfen. Bei ihrer ausgezeichneten musikalischen Begabung wird das sicherlich ein Erfolg werden. Sie wird es mir auch nicht verwehren, wenn ich ‚meinen Cousin' einlade, der deutsche Papiere hat."

Babette sah mich forschend an. Sie hatte einen eigenartigen Ausdruck auf ihrem Gesicht:

„Michael, verstehe mich nicht falsch. Natürlich finde ich es gut, dass Du Dich so für ‚Joanne' einsetzt. Aber ich bezweifele, dass Du wirklich weißt, auf was Du Dich da einlassen würdest. ‚Joanne' hat nur eine geringe Erfahrung, wie sich ein Mädchen benimmt. Jockel hat hingegen eine langjährige Erfahrung, wie sich ein Junge zu benehmen hat."

Babette straffte ihre Schultern. Sie sah so aus wie jemand, der plötzlich eine Entscheidung getroffen hat:

„Michael, bevor Du irgendetwas unternimmst, dass Du später bereust, solltest Du einfach mehr wissen. Nehmen wir einmal an, dass Du tatsächlich Deine Mutter wegen eines Besuches von Jockel fragen würdest. Jockel könnte und dürfte nur männliche Kleidung im Koffer haben. Du darfst Deiner Mutter auch nicht sagen, dass Jockel als Joanne überhaupt nur existiert! Solltest Du das doch machen, dann hole ich mein... ich meine das Kind sofort zurück - und Du darfst nie wieder zu Besuch kommen. Ist das klar?!?"

Ich wusste zwar nicht, weshalb das so ungemein wichtig war, aber die Dringlichkeit ihres Tones war nicht zu verkennen. Ich nickte also.

„Joanne ist noch nie ohne mich irgendwo weiter weg als dreißig Kilometer von unserer Wohnung gewesen und ich möchte nicht, dass so etwas zu einem Trauma führt. Ich habe eine Art Tagebuch geschrieben, seit vor gut drei Monaten die Entscheidung gefallen ist, dass Jockel sich zum ersten Mal als Joanne versuchen darf. Das solltest Du lesen, bevor Du etwas anleierst, dass zu einer Tragödie werden könnte."

Das verblüffte mich reichlich. Jockel war erst vor drei Monaten zum ersten Mal als Mädchen aufgetreten? Wieso war das möglich gewesen?

„Lese erst einmal die Einträge, dann wirst Du viel besser begreifen, warum das alles so schwer ist. Ich hole jetzt dieses Tagebuch. Morgen kannst Du Dich dann entscheiden, ob Du Deine Mutter ansprichst."

Sie kam nach einer halben Minute zurück und übergab mir mit einer beinahe feierlichen Ruhe eine Art Notizbuch.

Das Notizbuch

Das eingebundene Buch im DIN A5 Format hatte sogar ein Inhaltsverzeichnis, das nach Daten und Seiten geordnet war. Mir fiel sofort Samstag, der 15. Juli als Eintrag auf. Das war der Tag, als ich ‚Joanne' das erste Mal gesehen hatte. Ich schlug also die Seite 38 auf:

Samstag, der 15. Juli 1961

Am Morgen

Heute ist also der Tag. Der erste Tag, wo sich ‚Joanne' in der Öffentlichkeit bewähren soll. Ich habe immer noch Schwierigkeiten, von ‚ihr' zu schreiben, wo ich mich doch all die Jahre hindurch bemüht habe, nur von ‚Jockel' zu reden und zu schreiben. Den Tanzunterricht, den George und ich ihr gegeben haben, hat ‚sie' mühelos absolviert. Alles was mit Musik zu tun hat, lernt ‚Joanne' unglaublich schnell.

Ihre Bewegungen erinnern immer noch stark an Jockel, aber das wird Michael wohl nicht auffallen. Mein Cousin ist ein junger Mann, der laut meiner Tante Conny keine Erfahrungen mit Mädchen hat und noch keine geküsst hat. Ja, auch Mädchen gehen nach dem Aussehen. Michael hätte Besseres verdient, aber die Mädchen verstand ich auch. Warum Conny annahm, dass so ein entstellter Junge nie eine ‚vernünftige' Frau finden würde, wenn er nicht Geld an die Füße hätte, fand ich allerdings harsch.

Ich habe ‚Joanne' noch einmal eingetrichtert, dass sie an diesem Abend auf keinen Fall die Toilette für Männer benutzen darf, sondern die für Frauen nehmen muss.

Um Mitternacht

Es ist alles gut gegangen. Es hat keinen Eklat gegeben. ‚Joanne' war unheimlich aufgedreht, hat mir George erzählt. ‚Sie' hat sich unheimlich gefreut, dass Michael sie als Mädchen behandelt hat. Die Freude sei schon so groß gewesen, dass George Bedenken hatte, ob Jockel es später schaffen würde, diese Freude gegenüber Michael nicht zu zeigen.

Der erste Schritt ist damit geschafft. Ohne George wäre das alles nicht möglich gewesen. Ich bin ihm so dankbar!

Na, danke. Meine Mutter hatte mich also als Tölpel beschrieben, der keine Erfahrungen mit Mädchen hatte. Es war ja nicht verkehrt, aber erzählt das eine Mutter ihrer Nichte? Aber viel mehr interessierte es mich im Moment, was Babette am Anfang des Tagebuches sagen würde.

Samstag, der 1. April 1961

Am Mittag

Irgendwann musste es ja kommen. Es war vorhersehbar, aber immer noch eine Überraschung. Wir hatten alles versucht, um diesen Tag herauszuschieben. Jockel hatte von der alten Kunigunde diese Kräuter bekommen, die eine sexuelle Entwicklung herausschieben sollten und auch taten. Jetzt mussten wir endlich die Realität akzeptieren, die wir bisher ignorieren konnten. Deshalb beginne ich auch dieses Tagebuch, das ich eigentlich seit seiner Frühgeburt im Januar 1943 hätte führen sollen.

Heute Morgen begann es. Jockel hatte laut aufgeschrien. Ich war ins Zimmer gekommen. Jockel hatte einen erschreckten Ausdruck auf dem Gesicht und fragte mich entsetzt:

„Es ist... ich muss zum Arzt! Ich blute da unten!"

Irgendwann musste es ja so kommen. Jockel hatte die Periode bekommen. Sollte ich ihn immer noch Jockel nennen? Und wie sollte ich es ihm erklären? All die Jahre hatten wir versucht, ihm zu erklären, dass er ein normaler Junge sei, der eben nur untenrum nicht so ganz wie die anderen war. Das sei aber alles in Ordnung und kein Problem. Ihm nun zu erklären, dass er doch kein normaler Junge war, war nicht einfach.

„Liebling, das ist kein Problem für einen Arzt, sondern normal. Also normal für ein Mädchen. Oma Iris hat das als Mädchen das erste Mal erlebt mit Schrecken und ich auch. Kein Grund zur Sorge. Wir wussten nicht, ob es dazu kommt, mein Schatz. Du bist...

Es traf mich wie ein Schlag, als ich erst einige Sekunden später realisierte, was ich da gelesen hatte. Oma Iris! Jockel war gar nicht mein Cousin, wenn Tante Iris nicht die Mutter war. Wer war dann die Mutter? Dann kam die zweite schockierende Erkenntnis unmittelbar nach der ersten. Der Tonfall, in dem das geschrieben war, ließ eigentlich nur eine Deutung zu. Babette war die Tochter von Iris und Jockel bzw. Joanne war der Enkel oder die Enkelin. Babette musste die Mutter sein! Ich rechnete schnell nach und war schockiert. Babette musste danach das Kind mit 15 bekommen haben! War das der Grund für die Geheimhaltung? Aber es gab doch eine offizielle Geburtsurkunde aus dem Krankenhaus im Generalgouvernement Polen für Jockel als Sohn von Iris aus dem Dezember 1942? In einem Krankenhaus konnte man nicht eine fünfzehnjährige Babette mit der damals dreiunddreißigjährigen Tante Iris verwechseln! Und wieso schrieb Babette dann vom Januar 1943 als Geburtstermin? Ich kapierte es nicht!!

Samstag, der 1. April 1961

Am Abend

Jockel nahm die Erklärungen mit einer nur schwer erklärlichen Gelassenheit hin. Die erste Reaktion wird mir für immer im Gedächtnis bleiben:

„Derf ich denn a een Klääd azieche, Babette? Un ma Schniedl mit so a scheene Libbeschdift aamoole?" (1)

So als ob das schon immer ein Herzenswunsch gewesen sei. Es traf mich irgendwie ins Herz, das Jockel all diese Momente verpasst hatte, weil er von Geburt an ein Junge sein musste. Aber wie sonst hätten wir als Familie zusammenbleiben können?

Rassenschande war in 1943 ein mit Zuchthaus bestrafbares Verbrechen.

Meine Güte! Wusste meine Mutter etwas von dieser Tragödie? Dann wurde mir schnell klar, dass dies unwahrscheinlich war. Meine Mutter war damals als überzeugtes Mitglied in einer Frauenorganisation der NSDAP gewesen. Selbst nach dem Krieg und ihrer Abwendung von den Nazis waren einige ihrer Ansichten immer noch merkwürdig. Weder meine Tante Iris noch Babette hätten ihr damals so etwas jemals erzählt. Die Gefahr einer Denunziation wäre zu groß gewesen. Rassenschande?? War der Vater von Jo ein Jude oder ein Zigeuner gewesen?

Deshalb war es im Blick auf das Tagebuch noch merkwürdiger, warum meine Mutter sich mit Babette schrieb und nicht mit Iris, die ihr eigentlich als ältere Schwester näher sein müsste. Aber wie hatte Joanne das alles verdaut? Besonders das zweite Treffen von mir mit ihr interessierte mich. Ich suchte nach dem Sonntag:

Sonntag, der 23. Juli 1961

Am Abend

Jockel -- nein, ich sollte sie Joanne nennen -- hatte so reagiert, wie George es befürchtet hatte. Aber alles der Reihe nach.

Michael hatte auf dem Weg von Heidelberg zurück nach Joanne gefragt. Weil George und ich diese Möglichkeit vorher nicht gesehen und als auch nicht abgesprochen hatten, lief das aus dem Ruder. Eigentlich hatte ich nur sagen wollen, dass es möglich wäre, aber sie wegen des Übens keine Zeit hat. Leider sagte George unverblümt, dass sie zu sehen keine gute Idee war. Ich wollte nicht, dass Michael den Eindruck bekam, als ob wir ein Treffen verhindern wollten. Er sollte Joanne langsam vergessen -- und nicht durch eine Weigerung neugierig werden.

So kam es dann zur verhängnisvollen Aussage, dass ein kurzer Besuch möglich war. Eigentlich wollte ich Joanne dazu überreden, nur herunterzurufen, dass sie schon am Üben sei. Das klappte aber nicht. Joanne stellte sich nicht nur stur, sie wollte auch unbedingt ein Kleid anziehen, um Michael zu sehen. Bevor es zu einem Streit kam, gab ich nach. Sie durfte sich ein Kleid aus dem Kleiderschrank der vermissten Joanne anziehen.

Die Vermutung hatte ich da schon -- und als ich am Abend mit ihr sprach, da bestätigte es sich. Joanne hatte sich in Michael verliebt! Es kostete mich eine wahnsinnige Mühe, ihr auszureden, dass sie Michael gestehen wollte, dass sie und Jockel dieselbe Person waren. Vielleicht war es nicht fair, ihr die erste Verliebtheit ausreden zu wollen, aber das Risiko war viel zu groß. Ich bin nicht stolz darauf, ihr das mit Argumenten über ihre körperlichen Nachteile und seine geistige Überlegenheit klar gemacht zu haben. Aber es würde einen Aufstand geben, wenn Michael herausfand, dass er mit seinem angeblichen Cousin getanzt und geküsst hatte. Sein Entsetzen würde Joanne noch viel mehr treffen, als all das was ich ihr sagte, um genau das zu vermeiden.

Letzten Endes musste ich mir ihr Einverständnis, dass sie ihn nicht mehr als Joanne sehen durfte, damit erkaufen, dass sie als Jockel ihn am letzten Abend vor der Abreise sehen und ein Essen kochen durfte. Es war ein Kompromiss.

Ich war erschüttert. Ich hatte Joanne nur wiedergesehen, weil sie darauf bestanden hatte. Sie hatte dafür gekämpft, mich wenigstens noch einmal sehen zu dürfen. Und Babette hatte es offenbar wirklich so gesagt. Das Herabsetzende hatte sie im Tagebuch verbrämt als körperliche und als geistige Nachteile erwähnt. Ich glaubte es nun total, dass sie Joanne als ein Mädchen mit ‚zu kleinen Titten und einem zu dicken Hintern' bezeichnet hatte sowie als ‚zu blöd für einen Abiturienten'. Welche Mutter machte so etwas?? Dann fiel mir ein, dass meine Mutter mich gegenüber Babette auch als entstellten Tölpel dargestellt hatte, der nie eine Frau finden würde.

Am nächsten Morgen stand mein Entschluss fest. Ich würde bei meiner Mutter anfragen, aber vorher Joanna und Babette dazu um ihr Einverständnis bitten, dass ‚Jockel' nach Lübeck reisen würde. Babette nickte nur und sagte, dass sie dies erwartet hätte. Ohne Einwilligung sowohl von Joanne und von meiner Mutter würde sie aber nicht zustimmen. Das hatte ich mir schon so gedacht. Joanne dazu zu befragen, erwies sich als nicht ganz so einfach:

„Es tut mir leid, Joanne. Ganz so einfach wird das nicht mit dem Musikhaus in Lübeck und der Musikfachhändlerin. Es würde zuerst nur möglich sein, wenn Du als Jockel mit mir dort hinkommst und lebst. Ich würde Dich ja viel lieber als Joanna vorstellen, aber ..."

„Dees haan isch mer schoa denkt. Dei Mudda känn jo gar net ä Joanne, nur dä Jockele. Awwe wie sell dees doo gähn met de Hilf in de Laade? Un als was willsch mich ba deine Mudda vorschdelle?" (2)

Ich war erstaunt, wie schnell sie die zentralen Probleme sofort und direkt ansprach. Kein vorsichtiges Taktieren, sondern sofort zum Kern der Sache kommen. Ich erkannte am Ton ihrer Stimme, dass der letzte Satz für sie das Wichtigste war. Ja, als was wollte ich sie dann bei meiner Mutter vorstellen? Mir war klar, dass ich das Richtige sagen musste. Aber was war in diesem vertrackten Fall das Richtige?

„Ich würde Dich als Jo vorstellen -- und das Hand in Hand. Ich weiß, wie das aussieht..."

Sie nickte befriedigt - also war es die richtige Antwort gewesen.

„Dees is mer schnubbegal, wie dees aussähne tut. Solang mer zuannana schdäähn, kinne de annere saache, was se wolle! Jo wie ähn Vornamme is schoa aagnähm." (3)

Joanna hatte da offensichtlich weniger Probleme mit der Reputation als ich selber. Das bestätigte sich im nächsten Moment in drastischer Weise:

„Wanns wichdich for dei Mudda is, ei jo, dann säe ich de schwulli Jockel, de Tunte im Klääd." (4)

Da musste ich doch die Zähne innerlich zusammenbeißen, denn meine Mutsch hatte sich immer über die Homophilen lustig gemacht. Aber wenn Joanna das aus Liebe zu mir auf sich nahm, was sollte ich dann sagen? Allerdings begriff ich inzwischen total, was Babette gemeint hatte, als sie gesagt hatte, warum das alles so schwer sei. Das lag aber nicht an Joanne, sondern an den Umständen.

Also schickte ich meiner Mutter tapfer ein Telegramm. Ich erklärte ihr darin allerdings nur, dass mein Cousin Jockel Interesse an einem Austausch hätte und auch gerne einmal Lübeck sehen würde. Da konnte sie schlecht etwas dagegen sagen, wenn ich in der Pfalz die Gastfreundschaft gehabt hatte. Babette erklärte danach auch ihr Einverständnis und überließ mir sogar das Notizbuch, allerdings unter der Bedingung, dass Joanne nur als Jockel nach Lübeck reisen durfte.

Ankunft in Lübeck

Die Zugfahrt war lang, aber nicht so lang wie auf der Hinfahrt. Ich war ja auch nicht alleine. Joanne begleitete mich. Das heißt, Joanne in der Form von Jockel fuhr mit mir. Babette hatte darauf bestanden, dass Joanne in punkto Aussehen ihrem Personalausweis entsprach -- und der lautete eben auf den Namen von Johann-Joachim Müller -- und nicht Joanne!

Ich musste ihr auf der Fahrt alles über Lübeck erzählen. Sie wollte alles wissen. Und manche Sachen eben nicht nur einmal. Der Hafen von Travemünde war für sie etwas total Faszinierendes, dass sie nicht genug davon hören konnte: Klar, in Rheinland-Pfalz kann man keine Seeschiffe sehen und es gibt auch keine Seehäfen oder das Meer.

Je näher wir Lübeck kamen, desto nervöser wurde auch Joanne. Das konnte ich nur zu gut verstehen. Ich selber war auch nicht gerade die Ruhe in Person. Ich wusste nicht, ob meine Zuversicht, dass es mit Mutsch gut gehen würde, auch gerechtfertigt war. Wenn ich ehrlich war, dann war mir schon etwas mulmig zumute. Offensichtlich nahm Joanne das wahr. Sie hatte eine feine Antenne dafür:

„Michi, magsch sache wellie Sorche Du hosch?" (5)

Eine berechtigte Frage, aber es war schwer, das richtig auszudrücken. Ich hatte Angst vor Konflikten:

„Babette will unbedingt, dass Du Jockel bist und meine Mutter nicht von Dir als Joanne erfährt. Ich habe Dir versprochen, dass wir Hand in Hand vor meiner Mutter erscheinen, aber das gibt ein komisches Bild. Dabei möchte ich Dich gerne meiner Mutter als meine Freundin vorstellen. Du kannst aber nicht gleichzeitig beides sein."

„Ei jo, dees machema ganz ääfach so wie in dä Palz. Awwe midde Zeltlaacha anstatts Haisl." (6)

Ich starrte sie für einen Moment verblüfft an und begriff nicht, worüber sie redete. Sie merkte das und antwortete mir langsam und stockend auf hochdeutsch, so wie es Jockel bereits in der Pfalz gemacht hatte. Mir wurde klar, dass dies auch damals nur zur Verschleierung gedient hatte. Im Alltag jedenfalls war Hochdeutsch nicht die gewohnte Sprache für sie:

„Als Jockel rede ich nur Hochdeutsch. Ich wohne bei Euch. Jo kommt aus dem Zeltlager..."

Natürlich, in der Pfalz hatte sie angeblich im Häuschen des Mister Muller gewohnt. Aufgeregt und begeistert fiel ich ihr ins Wort:

„... als Mädchen. Sie besucht mich einen Tag später, hält meine Hand und ist meine Freundin. Babette erfährt das ja nicht. Sie weiß nur, dass Jockel bei Tante Conny angekommen ist."

Wieso war ich nicht auf die Idee gekommen? Schließlich hatte ich ihr doch von dem Zeltlager der Kirche selber erzählt. Die Schwierigkeit lag auf einem anderen Gebiet. Es gab keine weibliche Kleidung in dem Koffer von ihr. Schließlich sollte meine Mutter nur Jockel sehen -- und nicht Joanne. Als ich ihr das sagte, zuckte sie nur mit den Schultern:

„Michi, ä Broblääm isch blooß, wenn Du net Klamodde eikääfe gehsch!" (7)

Ach du meine Güte! Sollte ich alles für sie einkaufen? Ich sollte in ein Geschäft gehen und alle Sachen für ein Mädchen holen? Ich kannte doch gar nicht ihre Größe -- und was ich kaufen sollte. Ach herrje -- und dann womöglich auch noch Unterwäsche kaufen?? Das trieb mir sofort den Angstschweiß auf die Stirn: