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Dunkle Magie - Leseprobe 02

Geschichte Info
Ein schlimmer Verdacht.
5.5k Wörter
3.55
13.8k
0

Teil 2 der 2 teiligen Serie

Aktualisiert 03/18/2021
Erstellt 02/06/2012
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Eine weitere Leseprobe aus „Dunkle Magie", für diejenigen, die es interessiert ;-) Noch mal eine Inhaltsangabe, wer keine Lust hat, die erste Leseprobe zu lesen: Jenny und ihre neue Mitschülerin Samantha sind schnell beste Freundinnen geworden. Einige merkwürdige Ereignisse lassen in ihr aber einen absurden Verdacht wachsen: Führt Samantha etwa ein perverses Doppelleben? Jenny kann es nicht glauben, als sie tatsächlich Beweise dafür findet und erkennt, dass ein Kind in tödlicher Gefahr schwebt. Als sie Sam damit konfrontiert, spitzt sich die Situation zu und ein dramatisches Wochenende beginnt...

Dieser Auszug ist zeitlich vor diesem Wochenende angesetzt, es geht hier hauptsächlich darum, wie Jenny sich etwas... ungeschickt als Detektivin versucht.

Donnerstag, 30. September 2010

Serafinas Perspektive

Die Zweige der Büsche warfen ein Netz aus Schatten auf das trübe Wasser. Ein Netz, welches das Glitzern der Sonnenstrahlen einfing, winzige Lichtpunkte, die über die große Pfütze tanzten, wenn der Wind sanft darüber strich.

Für die kleinen Boote aus Rinde mit Segeln aus Blättern war es nicht einfach eine Pfütze, die sich nur deshalb so lange nach dem letzten Regen hielt, weil an dieser Stelle der Boden besonders lehmig war.

Für die kleinen Boote war diese Ansammlung von Wasser ein riesiges Meer von unvorstellbarer Tiefe und voller Gefahren, die es zu bezwingen galt.

Trockene Blätter raschelten am Boden, als sich jemand näherte. Der Herbst war schon spürbar nahe, aber noch war es angenehm mild. Goldener Spätsommer.

Es knackte leise, als jemand die Büsche teilte. Ein einziger schwarzer Schatten fiel auf die Pfütze, auf den Ozean, löschte das verspielte Netz der Zweige und die tanzenden Sonnentupfer mit einem Schlag aus.

Serafina hob den Kopf und musterte den Eindringling, eine junge Frau, die sich ein paar Schritte von ihr entfernt im Schneidersitz niederließ.

Schweigend sahen sie einander in die Augen, das kleine Mädchen mit Kletten im zerzausten Haar und die Frau mit der abgewetzten Lederjacke.

Schließlich deutete die Frau mit den Augen auf die kleine Flotte aus Rinde und fragte mit einem Lächeln: „Wohin soll die Reise gehen?"

Stille. Niemand hatte je die Spiele von Serafina verstanden, deshalb zögerte sie mit der Antwort.

„Nach Kaluria", erwiderte sie ernsthaft.

Jetzt würde die Frau sie auslachen und verspotten. Kaluria, das gibt es doch gar nicht.

Aber die Frau sah ihr nur in die Augen und nickte langsam.

„Kaluria", wiederholte sie andächtig, und so, wie sie es aussprach, klang es, als wäre sie schon einmal dort gewesen.

„Ein wunderschönes Land -- aber eine lange, gefährliche Fahrt dorthin."

Serafina staunte. Die Spiele und Geschichten, die sie sich ausdachte, die Bilder die sie malte, ganze Welten, die sie erschuf -- niemand hatte sie jemals ernst genommen. Im Kindergarten nicht. In der Schule erst recht nicht. Spiel mit den anderen Kindern, hieß es. Mach dich nicht zum Außenseiter. Aber die Kinder verstanden sie auch nicht. Fangen spielen, Fußball oder vielleicht noch Vater-Mutter-Kind, dafür brauchte man nicht viel Fantasie. Serafinas Welt war nichts für sie. Die Welt der anderen war nichts für Serafina.

Und nun diese junge Frau mit den funkelnden Augen, die den Weg nach Kaluria kannte.

„Ich hab dich schon mal gesehen", sagte Serafina. Sie kam nicht mehr darauf, wann und wo -- war es vielleicht bei Frau Lange gewesen?

„Ich weiß, Serafina", sagte die Frau.

Sie kennt meinen Namen, dachte das Kind. Es überraschte sie nicht wirklich, schließlich wusste die Frau auch von ihrem geheimen Land.

„Und wie heißt du?", fragte sie.

Die Frau lächelte und tauchte eine Hand in die Pfütze, in das unendlich tiefe Meer. Leichte Wellen brachten die Rindenboote zum Schaukeln.

„Wizard."

(...)

Freitag, 17. September 2010

Jennys Perspektive

Ein Klopfen an der Tür zur Biosammlung.

„Ja?", murmelte ich, ohne mich vom Mikroskop zu lösen. Gerade hatte ich die Viecher so schön im Blick, da durfte ich jetzt nicht unterbrechen.

Die Tür ging auf und Frau Förster trat in den Raum. Mittlerweile erkannte ich sie schon an ihrem leichten Schritt. Manchmal hatte es den Anschein, als würden ihre Füße nicht einmal den Boden berühren, wenn sie ging.

„Hallo Jennifer", sagte sie und dann: „Oh, Verzeihung! Nicht stören lassen."

Ich schmunzelte und zählte weiter, während sie sich auf den Stuhl neben mich setzte. Kurz darauf hob ich den Kopf und blies die Backen auf.

„So, das hätten wir."

Ich notierte schnell Anzahl und Art der Tiere, dann wandte ich mich meiner Lehrerin zu.

„Hallo Frau Förster."

Sie lächelte mich an.

„Macht Ihre Arbeit gute Fortschritte?"

Nicht ohne Stolz nickte ich.

„Ja, es klappt ziemlich genau so, wie wir es uns vorgestellt haben. Es gibt tatsächlich Unterschiede in der Fauna der verschiedenen Aufgüsse."

Zu meinem Erstaunen runzelte Frau Förster leicht die Stirn.

„Sie sagen „wir". Ich habe eher den Eindruck, dass Sie die ganze Arbeit mit dem Projekt haben. Immer, wenn ich vorbeischaue, sitzen Sie hier alleine."

„Nein, das stimmt nicht", widersprach ich energisch. „Samantha und ich wechseln uns in der Regel ab oder untersuchen die Proben gemeinsam. Sie kann doch nichts dafür, dass sie diese Woche krank ist. Dienstag ist sie nur für den Mathetest gekommen, dann musste sie wieder nach Hause, weil es ihr so schlecht ging."

Ich war schon fast entrüstet, dass Frau Förster meiner Freundin unterstellte, sich nicht um unser Projekt zu kümmern. Samantha stand genauso hundertprozentig dahinter wie ich.

„Wenn das so ist, habe ich wohl einen falschen Eindruck bekommen", sagte meine Lehrerin und lächelte wieder. „Also, erzählen Sie mir ein bisschen von Ihren bisherigen Ergebnissen, wenn Sie mögen."

Da ließ ich mich natürlich nicht zweimal bitten.

Zu Hause setzte ich mich gleich an den Computer um Samantha die Hausaufgaben zu mailen. Das hatte ich jeden Tag getan, seit sie am Dienstag mit heftigen Magenschmerzen nach Hause gegangen war. An jenem Abend hatte sie mir eine E-Mail geschrieben:

Hi Jenny,

mir geht 's immer noch nicht besonders. Werde vielleicht den Rest der Woche zu Hause bleiben. Magst du mir schreiben, was wir aufhaben und was ihr sonst so Wichtiges gemacht habt?

Das wär superlieb!

LG Samantha

P.S.: Tut mir echt Leid, dass ich dich mit dem Projekt hängen lassen muss! :-(

Ich hatte gerade angefangen zu tippen, als ein Gedanke mich innehalten ließ. Was war ich eigentlich für eine lausige Freundin? Die ganze Woche nichts als unpersönliche computergeschriebene Nachrichten. Kein einziges Mal hatte ich Samantha bis jetzt besucht. Entschlossen griff ich nach meinem Handy. Wenigstens anrufen konnte ich sie doch mal. Vielleicht würde es sie ja schon aufmuntern, meine Stimme zu hören. Und bestimmt würde sie sich freuen, wenn ich sie fragte, ob ich vorbeikommen sollte. Ich wählte die Festnetznummer ihrer Eltern. Schon nach dem zweiten Klingeln meldete sich eine Frauenstimme: „Weber?"

„Guten Tag, hier ist Jennifer, Samanthas Schulfreundin", antwortete ich höflich. „Kann ich sie vielleicht mal sprechen?"

„Nein, tut mir Leid", kam es bedauernd vom anderen Ende, „die ist noch nicht wieder da."

Noch nicht wieder da?

„Wo ist sie denn?", fragte ich. Bestimmt beim Arzt, sagte ich zu mir selbst.

„Keine Ahnung", lautete die unbekümmerte Antwort. „Sie hatte nach der Schule noch irgendwas vor, wie immer. Ich kann dir leider nicht sagen, wann sie wiederkommt."

Ich musste mich verhört haben. Samantha hatte etwas vor. Nach der Schule.

„Hallo?", quäkte es aus dem Lautsprecher. „Bist du noch da?"

„Ja", sagte ich tonlos.

Sie sollte in der Schule gewesen sein? Sie war doch krank. Es war ziemlich offensichtlich, was Sache war, aber ich wollte es nicht begreifen. Es ergab keinen Sinn.

„Soll ich ihr etwas ausrichten, wenn sie wiederkommt?", fragte Samanthas Mutter -- oder wer auch immer die Frau am Telefon war -- hörbar ungeduldig.

„Ähm... nein danke, schon gut. Ist nicht so wichtig." Ich verabschiedete mich und legte auf.

Mehrere Minuten, ich weiß nicht, wie lange, saß ich einfach nur da wie vor den Kopf geschlagen.

Samanthas Antwort auf meine Mail vom Vortag kam mir in den Sinn.

Danke für die Aufgaben. Bin im Moment aber nicht so richtig in der Lage, mich zu konzentrieren, hab jetzt auch noch Fieber bekommen und lieg im Bett. Scheiße...

Und ihre Eltern glaubten, sie ginge wie jeden Morgen zur Schule -- wo sie aber nie auftauchte.

Warum tat sie das? Warum log sie alle an? Warum log sie mich an?

Ich weiß nicht, was ich damit bezweckte. Vielleicht wollte ich auf Nummer Sicher gehen. Jedenfalls hatte ich ohne nachzudenken wieder das Telefon am Ohr und wartete darauf, dass Samantha an ihr Handy ging. Es dauerte eine Ewigkeit, dann meldete sie sich.

„Hallo Jenny."

Ihre Stimme klang müde und rau.

„Hallo Samantha", sagte ich und versuchte, mir meine Aufregung nicht anhören zu lassen. „Ich dachte mir, ich ruf mal an. Wie geht 's dir?"

Kurze Pause.

„Beschissen."

„Immer noch Fieber?", fragte ich und spürte einen bitteren Geschmack im Mund.

Ein Seufzen.

„Ja, hab eben mal 'ne Paracetamol genommen. Vielleicht hilft die ja."

„Weißt du schon, wann du wieder zur Schule kommst?"

„Kann ich dir nicht sagen. Ich hoffe bald."

Mir fiel nichts mehr ein, was ich hätte sagen können. Ich war zu enttäuscht. Zu... verletzt. Samantha log mich an und es schien ihr nicht einmal besonders schwer zu fallen.

Warum tust du das, wollte ich sie anschreien. Warum erzählst du mir so einen Scheiß?

Ich sagte: „Okay, versuch ein bisschen zu schlafen. Ich schick dir nachher noch die Hausaufgaben."

„Danke. Du bist ein Schatz."

Was denkst du gerade wirklich, Samantha?

„Gute Besserung."

„Danke dir. Mach 's gut."

Nachdem ich aufgelegt hatte, schleuderte ich mein Handy von mir, so weit es ging. Es flog quer durchs Zimmer und landete auf meinem Bett.

Von einem Moment auf den anderen war meine wichtigste Freundschaft zerstört worden.

(...)

Samstag, 2. Oktober 2010

Jennys Perspektive

Zwei Minuten nach Ladenschluss rannte ich zur Kasse, empfangen von den bösen Blicken der Kassiererin. Nicht einmal ein schönes Wochenende wünschte sie mir, nachdem ich bezahlt hatte.

Es war mir herzlich egal. Mechanisch packte ich die Waren ein und ging nach draußen zu meinem Fahrrad. Es war ein herrlicher goldener Oktobertag mit direkt frühlingshaften Temperaturen gewesen.

Aber selbst die warme Abendsonne konnte meine düsteren Gedanken nicht vertreiben. Seit letztem Freitag hatte ich nur noch Samantha im Kopf. Zwei Wochen war sie jetzt nicht in der Schule gewesen. Und was hatte ich getan? Ihr weiterhin die Hausaufgaben gemailt, als wüsste ich nichts von ihrer Lüge. Nur angerufen hatte ich sie nicht mehr. Ich konnte nicht dafür garantieren, dass ich auch am Telefon in der Lage war, so zu tun, als wäre nichts geschehen.

Während ich langsam in die Pedale trat, versuchte ich mich zum wer-weiß-wievielten Mal davon zu überzeugen, dass Samantha vielleicht einen guten Grund für ihr Verhalten hatte. Was, wenn sie in Schwierigkeiten war und sich nicht anders zu helfen wusste? Ich konnte mir zwar nicht vorstellen, was das für Schwierigkeiten sein sollten, aber es fiel mir wesentlich leichter, anzunehmen, dass Samantha aus der Not heraus so handelte, als zu glauben, sie würde...

Nein, befahl ich mir streng, hör auf damit. Sie hat sich immer gut mit dir verstanden. Wenn sie erst wieder in der Schule ist, wirst du sie einfach ganz offen fragen, was dieser Blödsinn sollte, dann ist die Sache aus der Welt. Ihr könnt doch immer noch Freundinnen sein.

Ich warf einen Blick auf die Uhr und fluchte. Über meinen Grübeleien hatte ich völlig die Zeit vergessen und war im Schneckentempo die Straße entlang geschlichen, während meine Mutter zu Hause ungeduldig auf die Lebensmittel wartete. Kurz entschlossen fuhr ich in eine Seitenstraße. Wenn ich diese Abkürzung nahm, war ich in nicht einmal fünf Minuten am Ziel.

Die Straße führte zu einer Kleingartensiedlung, die mitten in unserem Viertel lag. Ein kurzer Sprint durch das verworrene Labyrinth aus Sandwegen und schon war man quasi direkt vor unserer Haustür.

Bevor ich auf den kleinen Parkplatz der Siedlung fuhr, drosselte ich mein mörderisches Tempo. Schließlich wollte ich auf den letzten zehn Metern der Strecke nicht unter die Räder eines Kleingärtners kommen. Da fuhr tatsächlich ein Auto auf den Parkplatz, ich hörte das Brummen des Motors. Ich stieg vom Rad um das Tor zu öffnen, welches verhindern sollte, dass alle Welt mit dem Wagen über die Gartenwege heizte. Dabei sah ich das soeben angekommene Auto -- und erstarrte. Die Person, die auf der Fahrerseite ausstieg, war kein gärtnernder Rentner. Sie sah anders aus als sonst, aber nicht so viel anders, dass ich sie nicht erkannt hätte. Die Statur. Das dunkle lockige Haar, das schmale Gesicht mit dem kräftigen Kinn. Es war eindeutig Samantha. Seit wann hatte sie ein Auto?

Aus einem Impuls heraus drückte ich mich in die Büsche neben dem Tor um nicht von ihr gesehen zu werden. Wie absurd. Ich versteckte mich vor dem Mädchen, das ich vor zwei Wochen noch als meine beste -- meine einzige -- Freundin bezeichnet hätte. Aber vielleicht, schoss es mir durch den Kopf, kann ich so endlich herausfinden, was mit ihr los ist.

Samantha hatte mich beim Aussteigen anscheinend nicht bemerkt. Wie sie aussah. Sie trug eine völlig zerschlissene Jeans, eine schwarze Lederjacke und eine Sonnenbrille, die sie jetzt lässig in die Stirn schob. Ich kannte sie nur in ordentlichen, schlichten Blusen und gebügelten Hosen -- ich hätte nie vermutet, dass sie überhaupt andere Sachen besaß. Als sie jetzt um das Auto herum ging, staunte ich noch mehr. Das war doch nicht Samanthas Art sich zu bewegen. So ein breitbeiniger, wiegender Gang, strotzend vor Selbstbewusstsein. Die Samantha, die ich kannte, ging so wie ich: kleine schnelle Schritte, keine herausfordernden Gesten.

Sie öffnete die Beifahrertür und ließ jemanden aussteigen. Gespannt reckte ich den Hals. Ich hörte, wie sie etwas sagte, es war aber zu leise, als dass ich es hätte verstehen können. Sogar ihr Lächeln sah völlig anders aus als ich es gewohnt war, irgendwie... wölfisch. Mit wem war sie bloß unterwegs? Derjenige musste ziemlich klein sein, er wurde von dem Auto verdeckt. Dann schlug Samantha die Tür zu und plötzlich kam ihre Begleitung in Sicht.

Ich traute meinen Augen nicht. Es war ein kleines Mädchen von vielleicht sechs oder sieben Jahren. Langes, braunes Haar, zierlicher Körperbau. Sie kam mir bekannt vor, doch erst als sie das Gesicht in meine Richtung wandte...

„Serafina!"

Erschrocken presste ich mir die Hand auf den Mund und zog mich weiter zwischen die Zweige zurück. Aber nichts geschah, niemand hatte meinen unterdrückten Aufschrei gehört.

Serafina. Die Klavierschülerin meiner Mutter. Was hatte Samantha mit ihr zu schaffen? Was hatte dieses ganze Theater, ihre merkwürdige Maskerade zu bedeuten? Und was wollten sie hier?

Samantha stand jetzt dicht vor dem Mädchen. Sie sprachen miteinander, aber immer noch viel zu leise. Dann hob Samantha die Hand und strich Serafina über die Wange. Diese kleine, an sich völlig harmlose Geste ließ mich frösteln. Ich wusste nicht genau, was mir daran unheimlich vorkam. Ich spürte nur, dass mehr darin lag als lediglich die freundschaftliche Berührung eines Kindes.

„Also, bis dann", hörte ich Samantha sagen. „Es war schön mit dir."

Bildete ich es mir ein, dass ihre Stimme anders klang? Irgendwie dunkler. Oder waren es ihre Worte, die diesen Eindruck erweckten? Es war schön mit dir.

„Wann sehen wir uns wieder, Wizard?", fragte Serafina.

Wizard?

Samanthas Antwort war wieder zu leise. Sie schien das Mädchen aber zufrieden zu stellen, denn es strahlte. Unvermittelt wandte sie sich ab und hüpfte davon, blieb in der Auffahrt aber noch einmal stehen. Sie drehte sich zu Samantha um und führte ihre linke Hand zu ihrer rechten Schulter, wobei sie leicht den Kopf neigte. Samantha hatte mir mittlerweile den Rücken zugewandt, aber es schien, als erwidere sie die seltsame Geste. Dann lief Serafina endgültig davon.

Einen Augenblick spielte ich mit dem Gedanken, mein Versteck zu verlassen und zu meiner ehemaligen Freundin zu gehen. Hey Samantha, was machst du denn hier? Und bitte sag mir diesmal die Wahrheit.

Aber ich tat es nicht. Blieb wie angewurzelt im Gebüsch hocken und unternahm nichts.

Noch eine ganze Weile blieb Samantha an das Auto gelehnt stehen und blinzelte in die untergehende Sonne. Als ich schon dachte, sie würde überhaupt nicht mehr verschwinden, stieg sie wieder ein und ließ den Motor an.

Ich starrte den Rücklichtern hinterher und begriff überhaupt nichts. Wollte nichts begreifen.

Wahrscheinlich hatte ich soeben den Grund für Samanthas Lügengeschichte entdeckt.

(...)

Montag, 4. Oktober 2010

Sams Perspektive

Hastig zog sie die Jacke an, griff nach ihrem Rucksack und stürmte aus dem Raum. Sie floh.

Vor mir.

Auf der Treppe holte ich sie ein, versuchte in all dem Lärm um uns herum zu ihr durchzudringen.

Sie tat, als würde sie mich gar nicht wahrnehmen, lief immer schneller, stieß die Tür zum Schulhof auf, rannte fast.

Ich packte ihre Schulter und wirbelte sie zu mir herum. Reflexartig schlug sie meinen Arm weg, dann stand sie da, auf dem Sprung wie ein Reh, mit fliegendem Atem und weit aufgerissenen Augen. Ich stemmte die Hände in die Hüften und sah sie kopfschüttelnd an.

„Können wir jetzt vielleicht mal miteinander reden?"

Sie verschränkte die Arme vor der Brust. Abwehrhaltung.

„Wieso?"

Ich lachte kurz auf.

„Den ganzen Tag guckst du mich nicht an, geschweige denn, dass du ein vernünftiges Wort mit mir wechselst. Jetzt rennst du vor mir weg. Was sollte ich da wohl für einen Grund haben, mit dir reden zu wollen?"

Nervös zupfte sie an ihrem langen blonden Zopf.

„Tut mir Leid. Ich bin einfach nicht gut drauf, okay? Kümmerst du dich heute um die Aufgüsse?"

Sie verarschte mich. Ihr Verhalten hatte mit mir zu tun, das war klar. Und dieses lächerliche Würstchen glaubte wirklich, mich verarschen zu können.

„Lenk nicht ab!", sagte ich schärfer als angebracht war.

Nimm dich zusammen, dachte ich. Um aus ihr herauszubekommen, was los war, musste ich das tun, was zweckmäßig war, nicht das, was ich am liebsten mit ihr gemacht hätte. Zweckmäßig hieß: nett sein.

Deshalb seufzte ich und steckte die Hände in die Hosentaschen.

„Hey, ich möchte doch nur wissen, was mit dir los ist", sagte ich etliche Stufen sanfter. „Weißt du, ich komm heute endlich wieder in die Schule, freu mich darauf, meine Freundin zu sehen -- aber die redet nicht mit mir. Und ich hab keine Ahnung, was ich verbrochen habe."

Bei diesen Worten bemerkte ich eine Regung auf ihrem Gesicht, aber sie riss sich sofort zusammen und nahm ihre Brille ab um sie zu putzen. Zeitschinderei. Am liebsten hätte ich sie geschüttelt, ihr ein paar Ohrfeigen verpasst, damit sie endlich das Maul aufmachte. Ganz ruhig, befahl ich mir. Denk dran, hier gelten andere Regeln als deine.

Endlich setzte sie ihre scheiß Brille wieder auf und sah mir in die Augen. So ähnlich hatte sie mich auch heute morgen vor ihrer geheimen Unterredung mit Frau Förster angeschaut. Misstrauisch. Ablehnend.

„Du warst nicht krank", sagte sie.

Sie schleuderte es mir nicht hasserfüllt ins Gesicht. Sie klang nicht einmal vorwurfsvoll. Sie stellte es nur in den Raum, trocken und einfach. Du warst nicht krank.

Das erste, was ich dachte, war nicht sehr originell; das, was ich sagte, auch nicht. Ich dachte: „Scheiße!" und ich fragte: „Was?"

Sie verzog die Mundwinkel zu einem freudlosen Lächeln.

„Soll ich 's noch mal wiederholen? Alles, was ich wissen will, ist, warum deine Eltern der Meinung waren, dass du jeden Tag brav in der Schule sitzt, während ich geglaubt habe, dass du mit Magenschmerzen und Fieber im Bett liegst."

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