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Eine Party und ihre Folgen 04

Geschichte Info
Ein herbstlicher Spaziergang. Und eine große Beichte...
6.9k Wörter
4.67
29.4k
6

Teil 4 der 6 teiligen Serie

Aktualisiert 06/08/2023
Erstellt 07/11/2017
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Liebe Leserinnen und Leser,

es hat ein wenig länger gedauert, aber ich versichere euch, dass es nicht meine Absicht war, euch so lange warten zu lassen. Schon seit geraumer Zeit liegt der nun vorliegende 4. Teil der Geschichte um Julia auf meinem Rechner, aber ich fand einfach nicht die Zeit zum Hochladen.

Ich hoffe, ihr freut euch trotzdem darüber, dass es weiter geht und falls euch die Geschichte nicht mehr allzu gut in Erinnerung sein sollte beziehungsweise für alle, die an dieser Stelle neu einsteigen: lest euch die ersten drei Teile einfach (noch einmal) durch.

Nun also viel Spaß und gute Unterhaltung! Wie immer freue ich mich über jeden eurer Kommentare, kritische Anmerkungen und eure Meinungen.

Liebe Grüße

Euer

Panthera_tigris

Teil 4: Sklaven unserer ureigensten, primitivsten und animalischen Instinkte

Einen Moment lang glaubte ich, Spiegelbild-Julia würde mir tatsächlich antworten. So etwas in der Art wie: „Ach, wirklich? Ist mir ja noch gar nicht aufgefallen", wobei ich mir vorstellte, mein spiegelhaftes Ich würde dabei ironisch mit den Augen rollen. Oder etwa: „Schön, dass du es jetzt auch weißt. Ich wusste es übrigens schon lange."

Natürlich blieb mein Spiegelbild mir in Wahrheit eine Antwort schuldig. Trotzdem war ich richtig erleichtert, mir das selbst gegenüber eingestehen zu können. Es fühlte sich richtig toll und befreiend an, mich nun endlich zu mir selbst zu bekennen. Zwar konnte ich mir immer noch nicht vorstellen, mich vor anderen zu outen, ganz besonders fürchtete ich Toms Reaktion, aber mit meinem inneren Coming-Out hatte ich zumindest den ersten Schritt getan.

Ich kehrte zu Gina zurück. Diese lag nackt und ausgestreckt auf dem Bett und hatte sich eine Zigarette angesteckt. Verträumt blies sie kleine Rauchkringel in die Luft. Ich blieb im Türrahmen stehen und bestaunte einmal mehr ihren bezaubernden Körper: das dunkle, kastanienbraune Haar, das ihr ebenmäßiges Gesicht mit diesem herzlichen und ansteckenden Lächeln so perfekt einrahmte, ihre großen, festen Brüste, der flache und durchtrainierte Bauch, ihre Spinnentätowierung, die endlos langen Beine...

„Was ist?", fragte Gina als sie sah, dass ich zurückgekehrt war und sie anstarrte.

„Du siehst einfach wunderschön aus", gestand ich und ließ mich nun neben ihr wieder aufs Bett fallen.

Wir küssten uns erneut und ich schmeckte den Tabakrauch in ihrem Mund. „Willst du auch mal ziehen?", fragte sie und hielt mir den glühenden Krebsstängel vor die Nase.

„Danke, aber ich rauche nicht", antwortete ich knapp.

Gina drückte die Zigarette an einem gläsernen Aschenbecher aus. „Ich normalerweise auch nicht. Na ja, hin und wieder mal. Wenn der Sex besonders gut war, brauche ich eine Zigarette danach", sagte sie.

Ich errötete und sagte: „Dann hat dir der Sex also gefallen?"

„Und wie! Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich nie auf die Idee kommen, dass lesbischer Sex für dich Neuland ist."

„Danke", sagte ich, „ich habe auch die beste Lehrmeisterin. Und ich muss zugeben, obwohl es für mich neu ist, gefällt es mir sehr. Es ist aufregend und...ich weiß auch nicht, ich kann es noch nicht so richtig in Worte fassen. Ich glaube, ich muss selbst erst herausfinden, was diese neue Seite an mir bedeutet. Es ist einfach noch so ungewohnt."

Gina küsste mich erneut und flüsterte mir dann ins Ohr: „Lass dir Zeit und überstürze es nicht. Ansonsten sei einfach offen, lass alles auf dich zukommen und genieße es. Das ist alles, was ich dir raten kann."

Schließlich stand sie auf und sagte: „Ich glaube, wir sollten jetzt erst mal duschen gehen. Und anschließend müsste mein Bett frisch bezogen werden. Das Laken ist ja klatschnass."

Ich lachte und entgegnete: „Daran bist du zum größten Teil selbst schuld. Spritzt du immer so viel, wenn du kommst?"

Gina antwortete: „Meistens ja. Früher war es mir total peinlich, dass ich beim Sex so feucht werde. Doch Peter, meinem Freund, gefällt es und er hat mir die Angst genommen. Heute ist es für mich nur lästig, wenn ich hinterher die Sauerei weg machen muss."

Wir schlüpften schließlich zusammen in die beengte Duschkabine. Zwar war der Platz ziemlich klein, doch das machte uns nichts aus. Wir nutzten den dichten Körperkontakt zum Schmusen und tauschten Zärtlichkeiten aus, während das warme Wasser angenehm auf uns herabprasselte. Gina ließ ihre Hände dabei noch einmal zwischen meine Beine wandern und fingerte mich unter der Dusche, bis ich noch einmal zu einem Höhepunkt kam. Als es mich überkam, wurden meine Knie weich und ich wäre bestimmt hingefallen, wenn Gina mich dabei nicht abgestützt hätte.

Anschließend zogen wir unsere Kleidung wieder an, wechselten die Bettwäsche und tranken noch zusammen einen Kaffee. Dann verabschiedete ich mich von Gina, nicht ohne gegenseitig unsere Nummern getauscht zu haben und uns zu versprechen, dass wir uns schon bald wieder sehen wollten und schließlich machte ich mich auf den Weg nach Hause.

******

Weil das Wetter so schön war, beschloss ich spontan, heute nicht mit der Straßenbahn zu fahren, sondern den etwa halbstündigen Weg zu Fuß zurückzulegen. Als ich hinaus ins Freie trat, umfing mich sofort die schwül-warme Luft dieses herrlichen Oktobertages.

Während ich mich den breiten Gehweg entlang schob, grübelte ich wieder einmal über meine aktuelle Lage nach.

Dass ich bi war, stand für mich nun außer Frage. Es würde zwar noch eine ganze Weile dauern, bis ich zu mir auch in der Öffentlichkeit würde stehen können. Aber zumindest mir gegenüber konnte ich schon so ehrlich sein. Tom würde ich erst einmal nichts davon erzählen, obgleich es mich quälte, die Person, die ich am meisten liebte, nicht einweihen zu können. Doch ich fürchtete immer noch, dass ich mit einem solchen Geständnis unsere Beziehung zerstören würde. Immerhin hatte ich ihn betrogen. Nicht nur das, aus einem einmaligen Ausrutscher war inzwischen so etwas wie eine richtige Affäre geworden. Trotzdem war das alles so neu und aufregend für mich, dass ich einfach nicht widerstehen konnte. Es bereitete mir zwar ein schlechtes Gewissen, dass ich Tom dermaßen hinterging, aber ich wusste, dass ich einfach nicht anders konnte.

Obwohl ich mit meinem Eingeständnis die drängendste Frage beantwortet hatte, warum ich plötzlich Frauen so attraktiv fand und trotzdem nicht auf Männer verzichten wollte, war meine bisher unentdeckte sexuelle Orientierung für mich gleichzeitig schon wieder eine Menge neuer Fragen auf. Die drängendste, die ich mir auf dem Nachhauseweg stellte, war die, ob ich Frauen nur sexuell anziehend fand oder ich auch in der Lage wäre, eine Frau richtig zu lieben. Was, wenn ich mich eines Tages in Gina verlieben würde? Was würde das bloß für meine Beziehung mit Tom bedeuten?

Lange grübelte ich darüber nach. Es stimmte, ich fand Gina wahnsinnig sexy. Der Sex mit ihr war himmlisch und sie wusste ganz genau, welche Knöpfe sie bei mir zu drücken hatte, um mich so richtig auf Touren zu bringen. Ich liebte den Duft ihrer Haare, ihre zarte Haut, das Gefühl, wenn wir in innigen Küssen miteinander verschmolzen. Und jedes Mal, wenn ich sie ansah, kribbelte es in meinen Eingeweiden. Allerdings war es nicht dieses typisch Gefühl von Schmetterlingen im Bauch. Viel eher fühlte es sich an wie ein erotisches Prickeln. Also doch nicht verliebt?

Ich hielt an, schloss meine Augen und versuchte, mir Gina vorzustellen. Sofort zog es mächtig zwischen meinen Beinen. Dann dachte ich an Tom und das Gefühl wurde anders. Wohlig, warm und...eben so wie Verliebtsein sich anfühlte! Ich war also an Frauen vermutlich nur in sexueller Hinsicht interessiert. Was zugegebenermaßen die Probleme nicht gerade kleiner machte. Denn egal ob verliebt oder nicht, das was ich mit Gina trieb, war und blieb Fremdgehen.

Ich beschloss, vorerst nicht weiter über diese Dinge nachzugrübeln. Wahrscheinlich hatte Gina recht und ich sollte das Kommende einfach auf mich zukommen lassen. Also setzte ich meinen Weg an diesem herrlichen Oktobertag fort und schlenderte durch die lichtdurchfluteten Straßen Leipzigs nach Hause.

Als ich die Tür unserer Wohnung aufschloss, war Tom schon zu Hause und saß am Küchentisch. Er hatte sich die Reste unseres gestrigen Mittagessens warm gemacht und begrüßte mich freudestrahlend.

„Willst du auch was?", fragte er mich und deutete auf ein zweites Gedeck neben dem seinen, das jedoch noch nicht mit Essen beladen war.

„Nein danke", antwortete ich, „ich habe schon gegessen."

Ich küsste ihn zur Begrüßung auf den Mund und Tom zog mich stürmisch an sich heran, um den Kuss zu erwidern. Bereitwillig ließ ich mich auf seinen Schoß sinken und schmiegte mich eng an ihn, um möglichst viel seiner Wärme genießen zu können. Gott, wie ich diesen Kerl doch liebte!

„Mhm", sagte Tom, „du riechst frisch geduscht."

Fuck! Daran hatte ich noch gar nicht gedacht. Was, wenn er misstrauisch werden und alles herausfinden würde?

„Ja, weißt du...", sagte ich zögerlich, „ich war ziemlich verschwitzt...nach dem Sport."

„Sport? Was denn für ein Sport?", fragte Tom neugierig und es fühlte sich für mich an als unterzöge er mich einem scharfen Verhör. Sofort schrillten meine Alarmglocken. Ich durfte mir jetzt bloß nichts anmerken lassen, sonst würde er merken, dass etwas nicht stimmte.

Irgendjemand hatte mir mal geflüstert, dass es bei geschicktem Lügen zwei Grundregeln gab, um möglichst nicht erwischt zu werden: Erstens, sei möglichst spezifisch und denke dir Details aus, ansonsten läufst du Gefahr, dass man erkennt, dass du dir alles nur oberflächlich ausgedacht hast. Und zweitens, versuche so nah wie möglich an der Wahrheit zu bleiben, sonst verstrickst du dich leicht in Widersprüche.

„Volleyball", antwortete ich knapp.

„Seit wann spielst du Volleyball?", fragte Tom und runzelte die Stirn. Ob er etwa etwas gemerkt hatte?

„Na ja, heute eigentlich zum ersten Mal", log ich und hoffte, dass ich dabei nicht errötete. „Eine Freundin von mir hat mich eingeladen, heute doch mal mit zu gehen, vielleicht könnte es mir ja gefallen."

„Und hat es dir gefallen?"

„Ja, und wie", antwortete ich begeistert. Vielleicht sogar eine Spur zu euphorisch. Ich hoffte, dass ich mich durch meine Antwort nicht verraten hatte.

„Heißt das, dass du künftig öfter zum Volleyballtraining gehen willst?"

„Ja. Es hat mir sehr viel Spaß gemacht und es ist ein toller Ausgleich zum Unistress. Ich kann mir vorstellen, dass ich künftig öfter...zum Training gehen werde." Obwohl mir klar war, dass ich höllisch aufpassen musste, konnte ich mir nicht verkneifen, innerlich zu grinsen. Wenn Tom wüsste, welches Training ich in Wahrheit fortzuführen beabsichtigte.

Doch Tom ließ mir nicht viel Zeit und fuhr mit seinem Verhör gnadenlos fort: „Wer war denn die Freundin, die dich nun zum Volleyball...verführt hat?"

Bei dieser Frage musste ich mich beinahe verschlucken. Damit hatte ich nun nicht gerechnet. Ich überlegte, was ich darauf antworten sollte. Den ersten Punkt, spezifische Details zu benutzen und die Lüge damit auszuschmücken hatte ich befolgt. Nun wäre also Punkt zwei an der Reihe, möglichst dicht an der Wahrheit bleiben.

„Gina", antwortete ich wie aus der Pistole geschossen. „Du kennst sie flüchtig. Sie ist das Mädchen, das du letztens kurz auf der Party gesehen hast, zu der du mich geschleppt hast. Du weißt schon, das Mädchen mit der coolen Tätowierung und der auffälligen Haarsträhne."

Tom dachte einen Moment lang nach, kratzte sich dabei an der Stirn und antwortete dann: „Ja, ich glaube ich erinnere mich an sie. Ihr habt euch an dem Abend ziemlich gut unterhalten, nicht?"

„Das stimmt. Sie studiert auch Biologie. Daher sind wir miteinander ins Gespräch gekommen.", antwortete ich, was sogar der Wahrheit entsprach.

„Ist sie nett?", wollte Tom wissen.

„Sehr sogar. Wir haben uns auf Anhieb so gut verstanden als würden wir uns schon ewig kennen", sagte ich, was ebenfalls der Wahrheit entsprach. Dass wir an dem Abend viel weiter gegangen waren als es für gewöhnliche Freundinnen üblich war, verschwieg ich aber. Streng genommen war das also gar nicht gelogen, ich ließ einfach das eine oder andere Detail aus.

Tom schien mit meiner Antwort zufrieden zu sein und das Verhör vorerst beenden zu wollen. „Vielleicht solltest du sie mal zu uns einladen. Wir könnten gemeinsam mal wieder in den Zoo gehen, da waren wir schon lange nicht mehr. Und danach könnten wir hier bei uns etwas zusammen kochen", schlug Tom vor.

„Vielleicht sollte ich das wirklich einmal", antwortete ich. Dann fügte ich hinzu: „Ich glaube, du wirst sie mögen."

„Wie wäre es am Wochenende?", schlug Tom vor.

Ich zuckte mit den Achseln und entgegnete: „Ich kann sie ja mal fragen, ob sie Zeit hat."

„Mach das", sprach Tom und schob sich die letzten Speisereste seines Tellers in den Mund. Anschließend nahm er den Teller und leckte ihn laut schmatzend mit seiner Zunge ab. Sofort warf ich ihm einen bösen Blick zu, denn er wusste ganz genau, dass ich diese Unsitte an ihm absolut nicht leiden konnte.

„Wenn Gina am Wochenende bei uns ist, wirst du das aber nicht tun", ermahnte ich ihn.

Breit grinsend antwortete Tom: „Wir werden sehen."

„Wehe", feuerte ich zurück, „sonst..."

„Sonst was?"

„Sonst glaube ich, dass du am Wochenende keinen Nachtisch bekommst." Ich zwinkerte mit dem Auge und Tom verstand, dass ich damit keineswegs eine Süßspeise meinte.

„Das kannst du nicht machen."

„Und wie ich das kann."

„Aber...dann..."

„Dann bleibt mehr Nachtisch für Gina und mich", antwortete ich und schlagartig wurde mir klar, wie doppeldeutig diese Antwort klingen musste.

Tom horchte auf und sagte belustigt: „Soso, diese Gina scheint dir ja regelrecht den Kopf verdreht zu haben."

„Unsinn", entgegnete ich, „wir sind halt gute Freunde und verstehen uns prima." Schnell beeilte ich mich, das Thema zu wechseln: „Wenn du jetzt mit Essen fertig bist, was hältst du davon, wenn wir noch ein wenig raus gehen und die Sonne genießen?"

Tom zuckte mit den Schultern und antwortete: „Tolle Idee. Was schlägst du vor?"

„Wir waren schon lange nicht mehr im Rosental", antwortete ich, „Du weißt schon, wir könnten mal wieder auf den Aussichtsturm dort gehen."

Tom dachte kurz über meinen Vorschlag nach und antwortete dann: „Abgemacht. Ich zieh mir nur schnell noch ein anderes T-Shirt an. Warte so lange auf mich, ja?"

Er stand auf und flitzte ins Schlafzimmer, um sich von dort aus dem Kleiderschrank ein neues Kleidungsstück zu holen. Ich blieb in der Küche stehen und atmete erleichtert auf. Da hatte ich gerade so noch die Kurve gekriegt!

******

In der Ferne sah ich in der Luft, dicht über der sich im glitzernden Sonnenlicht kräuselnden Wasseroberfläche, etwas Blaues aufblitzen. Ich nahm das Fernglas, das um meinen Hals baumelte und das ich als Biologiestudentin so gut wie überall mit hinnahm, und hielt es mir vor die Augen ohne meinen Blick von der Stelle abzuwenden, an der ich die helle Lichtreflektion vernommen hatte.

„Was ist?", fragte Tom leise, als er registrierte, dass ich stehen geblieben war.

„Pssst", antwortete ich und deutete mit ausgestrecktem Zeigefinger nach vorn. „Dort drüben, auf dem Ast."

Die kobaltblaue, schillernde Oberseite und die rostroten Bauchfedern waren unverkennbar, ein Eisvogel, der Schnabelfärbung nach zu urteilen ein Männchen, hatte soeben einen kleinen Fisch erbeutet und landete auf einem dürren Ästchen. Mit einer kräftigen Bewegung schleuderte er seine im Schnabel zappelnde Beute gegen den Ast, auf dem er saß. Das Fischlein zuckte ein letztes Mal, dann wendete der Vogel seine Beute geschickt und schluckte sie mit dem Kopf voran in einem Stück nach unten.

Ich hatte schon öfter Eisvögel an fast der gleichen Stelle beobachten können und zückte mein kleines Büchlein, in dem ich derartige Beobachtungen stets sorgfältig einzutragen pflegte.

Für Tom war es die erste Begegnung mit einem Eisvogel und erstaunt über das schillernde Gefieder stand er mit weit offenem Mund da und beobachtete den fliegenden Fischjäger begeistert. „Der ist wunderschön", antwortete er mit leuchtenden Augen wie ein kleines Kind.

„Ja, das ist er in der Tat", pflichtete ich ihm bei. Obwohl ich mittlerweile regelmäßig die azurfarben Vögel beobachtet hatte, war es jedes Mal auch für mich etwas ganz Besonderes, wenn ich wieder einmal einen der scheuen Vögel erblickte.

„Wie schade, dass ich meine Kameraausrüstung nicht dabei habe", stöhnte Tom enttäuscht. Als Physikstudent war er natürlich von allem begeistert, was auch nur im entferntesten mit Technik zu tun hatte und so war es kein Wunder, dass er sich in seiner Freizeit schon seit Längerem intensiv mit der Fotografie beschäftigte.

Ich hielt ihm das Fernglas hin, damit er das fliegende Juwel nun auch einmal aus der Nähe betrachten konnte. Dankbar nahm er es entgegen und mit großer Begeisterung schaute er sich den kleinen Vogel nun genauer an.

Als ich Tom ansah, wie er mit dieser grenzenlosen, ansteckenden Begeisterung durch das Glas stierte, fühlte ich mich ihm in diesem Moment wieder unendlich nah. Es mag ein vergleichsweise unbedeutender Moment gewesen sein, doch für mich war er absolut intim. Einfach alles stimmte. Ich war hier mit ihm draußen an der frischen Luft, genoss die wärmenden Sonnenstrahlen und zusammen teilten wir soeben eine gemeinsame Leidenschaft. Vergessen war für den Moment das schlechte Gewissen. In diesem Augenblick hatte ich das Gefühl, dass nichts und niemand sich hätte zwischen uns stellen können. Nicht mal ein hauchdünnes Blatt Papier hätte zwischen uns gepasst und ich bekam das dringende Bedürfnis, meinem Freund noch näher zu kommen.

Mit meinem Arm hakte ich mich bei ihm ein und lehnte meinen Kopf an seine Schulter. Minutenlang standen wir einfach nur da, beobachteten den kleinen Vogel und genossen unsere Zweisamkeit. Es war als stünde die Welt um uns für einen winzigen Augenblick still, so als wolle sie uns damit mitteilen, dass dieser Moment nur für uns zwei reserviert war und möglichst ewig dauern würde.

Ich merkte, dass ich plötzlich Details wahrnahm, die mir zuvor verborgen waren. Das Laub der Bäume hatte begonnen, sich zu verfärben, was mir bei meiner letzten Morgenrunde am Wochenende im Park überhaupt nicht aufgefallen war, so sehr war ich mit mir selbst beschäftigt gewesen.

Das sanfte Plätschern des Bachs, das leise Rascheln der Blätter im Wind und das zankende Zwitschern einiger Spatzen, die sich um ein paar Krümel auf dem Boden rund um einen Mülleimer stritten, drangen an meine Ohren. Für mich klang es wie Musik, eine bezaubernde Symphonie der Naturklänge und ich war froh, dass es Tom war, mit dem ich diesen Moment teilen durfte.

Tom war es, der den Augenblick schließlich für beendet erklärte, indem er mir das Fernglas wieder in die Hand drückte und laut sagte: „So, genug geschaut, komm, lass uns weiter gehen. Wir wollen schließlich noch am Aussichtsturm ankommen." Damit holte er mich aus meinem Tagtraum zurück in die bittere, kalte Realität. Die Realität, in der ich die liebste, netteste und mir wichtigste Person in meinem Leben so schäbig hintergangen hatte.

Stumm nickte ich mit dem Kopf und folgte Tom, der inzwischen schnurstracks Kurs in Richtung Aussichtsturm nahm. Ich sah Tom hinterher. Sein Gang war leicht und unbeschwert, er hatte ja keine Ahnung, was passiert war. Ich fragte mich, wie lange das noch so sein würde. Was hatte ich ihm und uns bloß angetan?

Zögerlich folgte ich meinem Freund. Zum Aussichtsturm war es nicht mehr besonders weit. Obwohl es heute ein besonders schöner Tag war und die Sonne kräftig und warm schien, waren wir weit und breit die einzigen Menschen.

„Wo bleibst du denn?", fragte Tom plötzlich. Er war stehen geblieben und hatte sich zu mir wartend umgedreht, die Hände in die Hüften gestemmt.

„Entschuldige", seufzte ich, „aber ich war mit meinen Gedanken gerade woanders."

„Das sehe ich", entgegnete Tom und fügte dann breit grinsend hinzu: „Hoffentlich hast du in deinen Gedanken daran gedacht, was wir zwei heute Abend machen könnten, wenn wir wieder daheim sind."