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Kampf des Willens Ch. 01

Geschichte Info
Das geheimnisvolle Medaillon - Seltsames geschieht mit Laura.
11.6k Wörter
4.08
145.5k
9

Teil 1 der 6 teiligen Serie

Aktualisiert 02/03/2022
Erstellt 06/22/2006
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Dies ist das erste Kapitel einer längeren Geschichte, die sich vorrangig im Bereich Mind Control bewegt. Da in diesem ersten Kapitel die handelnden Personen und die Storyline vorgestellt werden, ist es relativ lang – und dieses Kapitel enthält relativ wenige Sex-Szenen. Wenn ihr vorrangig auf viel Sex mit wenig Story aus seid, sind einige der späteren Kapitel vielleicht besser für euch geeignet. Wenn ihr aber auch gerne eure Phantasie anregen lasst, dann hoffe ich, dass euch meine Geschichte gefällt. Für Kommentare bin ich immer dankbar.

*

Bei Nacht ähnelt der Leskower See einem schwarzen Spiegel. Seine Tiefen sind unergründbar; auf den sich leicht kräuselnden im Winde Wellen tanzt der Mond, bis sich eine Wolke vor ihn schiebt. Die Bäume des Grünenberger Forsts reichen bis ans Ufer und strecken ihre Äste hinaus über das Wasser. Die Stille ringsum wird nur hin und wieder vom leichten Rascheln der Blätter oder dem Schrei einer Eule gebrochen.

Im Südosten bildet der See eine Bucht, die von der im Westen gelegenen kleinen Stadt Leskow nicht einzusehen ist. Der Wald ist hier weniger dicht bewachsen. Eine Lichtung würde diesen Ort zur idealen Badestelle machen, wäre das Ufer nicht gerade hier sumpfig und verschilft. So aber ziehen die Leskower Familien an Sommernachmittagen den dichter an der Stadt gelegenen südwestlichen „Strand" vor – die Sandigkeit dieses Strandes ist sicherlich eher auf die Zerstörung der Grasnarbe durch zu starke Benutzung zurückzuführen, als darauf, dass es sich um einen wirklich Strand handele – und die kleine Bucht und die an sie schließende Lichtung werden lediglich von jugendlichen Pärchen genutzt, die an ihr vor allem ihre Abgeschiedenheit zu schätzen wissen.

Jetzt jedoch, mitten in einer Nacht in den Sommerferien, befinden die meisten dieser Pärchen sich in der einzigen Diskothek oder in einer der beiden sich an jugendliches Klientel richtenden Kneipen, die Leskow aufweisen kann. Einige haben vielleicht auch die lange Fahrt mit der Regionalbahn in die Hauptstadt auf sich genommen, um der heimatlichen Einöde wenigstens für einen Abend zu entfliehen.

Die kleine Bucht liegt still in der Dunkelheit, unberührt von der Existenz lauter Musik und schwüler, rauchiger Hitze, glitzernder Lichter und der Trunkenheit, der sich die Leskower Jugend an den Wochenenden aussetzt. Die Schilfhalme wiegen sich sacht im Wind, und als der Mond für einige Momente einen freien Blick auf die Bucht bekommt – eine Wolke hat ihn freigegeben, die nächste erreicht ihn erst später – funkelt es auf im Schilf: Etwas hängt fest zwischen den Halmen. Etwas Silbernes, scheinbar Kostbares – eine Kette oder ein Armband.

Da wird auf einmal die Stille der Bucht von menschlichen Fußstapfen gestört. Die Wolken schieben sich schon wieder vor den Mond, und so ist nur noch die Silhouette eines Mannes erkennbar, der zielstrebig auf das Ufer zugeht. Er sinkt ein wenig ein im Schlamm, scheint sich daran jedoch nicht zu stören. In der Dunkelheit glitzert das Metall zwischen im Schilf nicht mehr, es ist kaum noch zu erkennen. Der Mann findet es dennoch, und seine Hand taucht in das dunkle, kühle Wasser, ergreift den Gegenstand, der sich da kurz unter der Oberfläche des Sees verfangen hat, und zieht ihn heraus. Wieder platschen seine Füße laut durch das Uferwasser. An Land zertreten sie einige Äste. Dann ist er weg, und der Leskower See liegt erneut in Stille.

Irgendwo in dem Städtchen Leskow schwankt währenddessen ein junger Mann namens Martin angetrunken nach Hause, und versucht energisch den Gedanken aus seinem Kopf zu vertreiben, dass ihm nur noch zwei Wochen bis zum Beginn des neuen Schuljahres bleiben.

***

Martin bewegte sich durch seine Schulzeit ähnlich einer zähen, klebrigen Masse, die mit genügend Kraft in jede beliebige Form gepresst werden konnte, darin jedoch nie besonders elegant aussah – die Luftblasen aufwies, und die, ließ man sie fallen, nicht etwa auseinander floss, sondern nur leicht eingedellt als plumper Klumpen liegen blieb.

Seit der Grundschule widerstand er stur und stumm den Aufforderungen, seine Hausaufgaben zu erledigen oder zu lernen – aber nur so lange, bis abzusehen war, dass dieser Widerstand in noch größere Anstrengungen ausarten könnte, als mit den von ihm erwarteten Leistungen verbunden waren. In der dritten Klasse war er einmal sitzen geblieben, und es war weniger die Tracht Prügel, die er dafür von seinem Vater erhielt, als die lästigen Nachhilfestunden und die langwierigen Gespräche, in denen er sich zu seinem Vergehen äußern sollte, die ihn davon überzeugten, dass ihm ein solcher Fehler nicht noch einmal unterlaufen dürfte, wollte er denn sein Leben in der gewohnten Ruhe fortsetzen.

So fiel er weder durch positive, noch durch allzu negative Leistungen sonderlich auf. Allerdings versetzte seine besondere Unfähigkeit, selbständig zu denken oder auch nur die gelernten Fakten zu abstrahieren oder aber sich zu ihnen eine Meinung zu bilden, zumindest die engagiertesten seiner Lehrer ein paar Mal in Sorge. Ein diesbezügliches Gespräch mit seiner Deutschlehrerin der sechsten Klasse überstand er durch stumpfsinniges Schweigen und Nicken genau an der richtigen Stelle. Sie entließ ihn mit nagenden Zweifeln daran, ob ihre Argumente überhaupt zu ihm durchgedrungen waren, und zugleich wachsender Unsicherheit, wie ihre Sorgen in einem Brief an seine Eltern formuliert werden könnten. Letztendlich unterließ sie jegliche Unternehmungen, die sie zur Behandlung des Problems geplant hatte, und gab ihm, wohl aus schlechtem Gewissen über ihre eigene, durch sein Verhalten hervorgerufene Lethargie, eine Note, die seine Leistungen weit übertraf.

Auf Drängen seiner Eltern schaffte er gerade so die Zulassung zum Gymnasium, und es war abzusehen, dass er das Abitur ablegen würde, wenn auch mit sehr mittelmäßigen Leistungen.

Sport war Martin zuwider, und man sah ihm dies an. Jedoch war er darauf bedacht, nicht so sehr zuzunehmen, dass er Opfer von Sticheleien seiner Mitschüler werden könnte, oder schlimmer noch, seine Mutter ihn auf Diät setzen würde. So war er, der an Körpergröße nur leicht den Durchschnitt der Jungen seines Alters übertraf, ziemlich kräftig ohne dabei fett zu wirken. Seine Gesichtszüge waren nicht unförmig oder grobschlächtig, noch weniger jedoch konnten sie als fein bezeichnet werden – ihn hässlich zu nennen wäre eine arge Übertreibung, auf die im Übrigen niemand käme, da seine Züge zu uninteressant für diese Bezeichnung waren. Sein Haar war von einem dunklen, schmutzigen Grau-Braun, und wurde alle zwei Monate mit einem Rasierer gleichmäßig auf wenige Millimeter heruntergeschnitten.

An Freunden mangelte es ihm nie, da er sich problemlos in Gruppen einfügte, solange diese ihm kein eigenständiges Denken abverlangten. Er galt als angenehme Gesellschaft für all jene, die gern das erste und letzte Wort hatten, da er sie nie durch eigene Vorschläge störte. Um nicht diskutieren zu müssen, war er für alles zu haben, solange ihm nicht zu viel anstrengendes Handeln abgefordert wurde. Zugleich war er so unauffällig, dass man ihn, wenn er aufgrund veränderter Machtverhältnisse an der Schule die Freunde wechselte, kaum vermisste, und seltsamerweise den Mangel an Loyalität auch nicht übel nahm. Er war eben so.

*

Der erste Schultag der zwölften Klasse begann mit einer schrecklichen Nachricht: Herr Seger, der Mathematiklehrer, war am vergangenen Abend tödlich verunglückt. Sechsundzwanzig Augenpaare richteten sich stumm und erschrocken auf Frau Jadrowski, die etwa fünf Minuten nach Unterrichtsbeginn den Raum betreten hatte, um dem Grundkurs II Mathematik die schreckliche Nachricht zu verkünden. Sechsundzwanzig Augenpaare – im Raum saßen aber achtundzwanzig Schüler.

Am letzten Tisch der Fensterreihe saßen Martin, der wie so oft ins Leere zu schauen schien, und Laura, die nach unten auf ihre Knie starrte. Woran Martin dachte ist fraglich, es ist sogar sehr gut möglich, dass er an gar nichts dachte. Immerhin bekam er von dem Mitgeteilten genau so viel mit, wie notwendig war, um nicht aufzufallen.

Laura dagegen dachte an jenen schicksalhaften Nachmittag vor nun beinahe zwei Wochen, an dem sie am Ufer des Leskower Sees mit ihrem Freund David Schluss gemacht hatte.

*

Dass es nicht irgendein Tag war, sondern ihr achtzehnter Geburtstag, schien die Sache nur noch schlimmer zu machen. Vielleicht waren es ja die hohen Erwartungen, die sie beide für diesen so symbolträchtigen Tag gehegt hatten, die schließlich zum Eklat führten. Schließlich sollte „es" heute geschehen.

Lauras Eltern, die selbst für ihre ländliche Heimat recht konservativ waren, hatten dem Mädchen schon früh eingeprägt, dass verfrühter Geschlechtsverkehr unabsehbare psychologische Folgen haben könnte – abgesehen einmal von dem Risiko einer Schwangerschaft. Als dann vor etwas über einem Jahr ihre Beziehung mit David immer ernsthafter wurde, teilte sie ihm mit, dass vor ihrem eigenen achtzehnten Geburtstag keineswegs etwas laufen würde. David selbst war eine Klasse über ihr und somit mehr als ein Jahr älter. Er war jedoch der verständnisvollste und geduldigste Partner, den sich Laura und auch ihre Eltern nur wünschen konnten. Seit einiger Zeit ging denn das Vertrauen von Lauras Eltern sogar soweit, dass sie die Tochter bis spät abends ausgehen ließen, wenn denn der Freund dabei war. In engeren Freundeskreisen sprachen sie bereits scherzhaft von ihrem „Schwiegersohn". Wer sie gut kannte, spürte in ihren Worten die Hoffnung, dass es vielleicht eines Tages wirklich so sein sollte.

Dennoch hatten sich Laura und David an ihr Versprechen aneinander gehalten. Bis zu Lauras achtzehntem Geburtstag waren sie über Küsse und schüchternes Streicheln nicht hinausgegangen, obwohl auch Laura die eigene Weiblichkeit und die Sehnsucht nach jener größten Nähe zu ihrem Freund immer stärker in sich erwachen fühlte. Dementsprechend groß waren denn auch beider Erwartungen an den Nachmittag des Geburtstages. Sie hatten bereits vor Wochen beschlossen, dass es an jenem Tag soweit sein sollte.

Laura feierte ihren Geburtstag nicht mit Freunden – schon seit Jahren tat sie das nicht mehr – sondern verkündete ihren Eltern, dass sie einen ruhigen Spaziergang im Wald wollte, nur sie und David. Es war Ende August, ein warmer und sonniger Tag. David hatte eine Decke und genügend Leckerbissen für ein Geburtstagspicknick mitgebracht, und so setzten sie sich an das Ufer des Sees und aßen. Laura bekam allerdings kaum einen Bissen herunter – es lag eine kaum erträgliche Spannung in der Luft. Schließlich packten sie die Essensreste weg, und begannen sich so schüchtern zu küssen, als hätten sie sich gerade erst kennen gelernt.

Was dann geschah, wusste sie selbst nicht so genau. Auf einmal waren sie mitten in einem Streit. Wie war es dazu gekommen? Vage erinnerte sich Laura, dass David ein Armband aus der Tasche zog – angeblich hatte er es gerade erst gefunden, an eben dieser Picknickstelle – und es Laura schenken wollte. Und dann? Aus irgendeinem Grund wollte sie das Armband nicht. Sie war wütend auf ihn gewesen, hatte ihm die seltsamsten Vorwürfe gemacht. Warum nur? Es war, als sei sie nicht sie selbst gewesen. Schließlich war sie davon gerannt, aus dem Wald, sie wollte ihn nie wieder sehen.

*

Eine leichte Berührung an ihrem Arm riss Laura aus den Gedanken. Sie sah auf. Martin. Er blickte sie mit seinem typischen, undefinierbaren Gesichtsausdruck an. Oh, wie sie ihn hasste – Laura hatte seit dem ersten Schultag am Gymnasium eine starke Abneigung gegen diesen Jungen. Irgendetwas war nicht in Ordnung mit ihm, da war sie sich sicher. Er war nicht einfach nur dumm und unterwürfig, es war mehr. Er war ekelhaft. Es war ihr unangenehm, dass er sie eben berührt hatte. Warum saß sie eigentlich neben ihm? Es war wohl der einzige freie Platz gewesen, überlegte sie.

„Hast du nicht gehört?" fragte Martin.

„Was!?" Lauras Ton war schärfer als geplant.

„Herr Seger ist tot. Wir können nach Hause gehen. Morgen gibt's eine Gedenkveranstaltung, dann geht der Unterricht normal weiter, sobald eine Vertretung gefunden ist."

Laura sah sich um. Frau Jadrowski stand nahe der Tür und unterhielt sich mit ein paar Schülern. Sie alle schauten sorgenvoll, eine Schülerin wischte sich mit dem Ärmel über die Augen. Die Anderen im Raum packten stumm und ernst ihre Bücher wieder in die Taschen und Rucksäcke.

Erschrocken wandte sich Laura zurück zu Martin. Doch der war bereits auf dem Weg zur Tür.

*

Die Gedenkveranstaltung begann um zehn. Sie dauerte zwei Stunden, danach sollte es noch ein paar Stunden Unterricht geben, schließlich musste das neue Schuljahr ja irgendwann beginnen. Es war laut in der Aula, so dass der Direktor lautstark um Ruhe bitten musste – für rund die Hälfte der Schüler, diejenigen, die nie Unterricht mit Herrn Seger gehabt hatten, war die Veranstaltung nichts weiter als eine willkommene Ablenkung in jenen so frustrierenden ersten Schultagen direkt nach den großen Ferien.

Laura saß nahe der Tür im hinteren Teil der Aula und starrte auf ihre Knie. Sie trug einen dunklen, knielangen Rock, normalerweise zog sie Hosen vor, aber es schien ihr heute ein Anlass, sich ein wenig hübscher und zugleich gemäß der Trauer schwarz anzuziehen. Das Gefühl, jemand beobachte sie, ließ sie unruhig werden, und sie sah sich im Saal um. Etwa fünfzehn Meter von sich entfernt entdeckte sie David. Der Direktor begann gerade mit seiner Rede, es war endlich still geworden im Saal, und David schaute nach vorne, schien aufmerksam zuzuhören. Laura glaubte zu erkennen, dass er blass war und leichte Ringe unter seinen dunklen Augen hatte. Aber das war Unsinn, er saß zu weit weg, um so etwas zu erkennen. Sie wandte sich ab.

Die Stimme des Direktors, die an das Leben des Lehrers erinnerte, der selbst schon hier zur Schule gegangen war, bedrückte sie. Sie hatte Herrn Seger gemocht. Er war nicht mehr jung, zumindest nach Ansicht der Schüler, und es schien ihm zugleich an Welterfahrung zu mangeln – aber gerade das brachte ihn den Schülern näher. Auch sie hatten schließlich zum Großteil das Städtchen noch kaum verlassen, und konnten den kleinbürgerlichen Konservativismus des Lehrers gut nachvollziehen. Er entsprach dem, was sie von Kindheit an kannten. Laura selbst war nicht besonders gut in Mathematik. Da der Lehrer aber früher in dieselbe Klasse wie ihre Mutter gegangen war, brachte ihr schon das ein paar Extrapunkte und ein freundliches Lächeln jeden Morgen, wenn der Lehrer die Klasse betrat.

Sie konnte hier nicht länger sitzen, sie wollte sich nicht jede Sekunde daran erinnern, dass jemand gestorben war, den sie kannte. Das letzte Mal war dies geschehen, als sie fünf war, und ihr Großvater starb, die anderen Großeltern lebten noch. Sie wollte nichts davon hören, und außerdem musste sie mal.

*

Laura verließ die Toilettenräume und wanderte die leeren Hallen entlang zurück zur Aula. Die Schule war vor wenigen Jahren renoviert worden, und noch hatten es die Schüler nicht geschafft, den Eindruck klinischer Sauberkeit von den weißen Wänden, grauen Türen und gelblichen Linoleumfußböden zu löschen. Gewiss gab es ein paar Schmierereien an den Wänden, doch zumeist wurde der Übeltäter ausfindig gemacht und musste seine Untaten selbst überstreichen.

Laura blieb an einem Fenster stehen und schaute auf den Hof. Sie blickte genau auf die Fahrradständer, die nie für alle Räder ausreichten. Ein Chaos aus Reifen und bunten Rahmen, stehenden und umgefallenen Fahrrädern, türmte sich um sie. Dahinter ein paar Bäume, zwischen denen der Leskower See hervorblitzte. Der Wald war auf der anderen Seite des Sees. Die Sonne schien, der Himmel war auch jetzt im September noch blau, ohne Rücksicht auf die Trauerveranstaltung in der Schule.

Wieder hatte Laura das Gefühl, beobachtet zu werden. Sie wandte sich um. Der Gang war leer, nicht einmal Fußtritte waren zu hören. Ihr Blick fiel auf die große Uhr, die am Ende des Ganges an der Wand hing. Fast zwölf. Sie hätte nicht gedacht, dass bereits so viel Zeit vergangen war – hatte sie die Trauerveranstaltung nicht schon kurz nach Beginn verlassen? Und sie war ja wohl kaum über eine Stunde auf der Toilette gewesen. Nun gut, es lohnte sich wohl nicht mehr, zur Aula zurückzukehren. Statt dessen könnte sie sich am Automaten im zweiten Stock eine Cola holen, und dann darauf warten, dass die anderen die Aula verließen, um sich unter sie zu mischen und mit ihnen zum Unterricht gehen. Ja, eine Cola wäre eine gute Idee, sie hatte Durst und einen komischen Geschmack im Mund.

*

Innerhalb weniger Tage hatte sich der Schulalltag wieder auf seinen normalen Rhythmus eingespielt, die traumatische Nachricht jenes ersten Schultags schien vergessen. Eine Zeitungsmeldung verkündete, dass der Mathematiklehrer Herr Seger am Mittwoch nur im Kreise seiner engsten Angehörigen beigesetzt worden war. Keiner von ihnen lebte in der Stadt, und daher gab es kaum Augenzeugenberichte des Begräbnisses. Sein Unterricht am Gymnasium wurde zunächst provisorisch von einer schon seit etlichen Jahren pensionierten älteren Dame übernommen, die früher einmal für ihre Strenge bekannt gewesen war, sich inzwischen jedoch mehr noch durch Zerstreutheit auszeichnete. Sie empfand das Unterrichten als willkommene Abwechslung in ihrem recht einsamen Rentnerdasein und hatte sich nur zu gerne bereiterklärt, die Stelle auszufüllen, bis die Schulverwaltungsbehörden einen angemessenen Ersatz schickten.

Laura stellte zu ihrer Überraschung fest, dass sie in beinahe allen Unterrichtsfächern neben Martin saß. Sie war sich nicht sicher, wie es dazu gekommen war, es wurde ihr immer erst dann bewusst, wenn es für einen Platzwechsel schon zu spät war.

Sie machte sich jedoch nicht allzu viele Gedanken darüber, denn sie hatte andere Sorgen: Obwohl sie beschlossen hatte, sich nicht zu viel aus dem Ende ihrer Beziehung zu machen – es entsprach nicht ihrer Vorstellung von sich selbst, dass sie zu sehr unter einer Trennung litt – wanderten ihre Augen ständig nach David suchend über den Schulhof und die Wiese neben dem Schulgebäude. Sie sah ihn jedoch selten, fragte sich manchmal gar, ob er vielleicht die Pausen drinnen verbrachte, um ihr aus dem Weg zu gehen.

Weiterhin jedoch schien die Trennung sogar Auswirkungen auf ihre schulischen Leistungen und ihr allgemeines psychisches Wohlbefinden zu haben. Anders konnte sich Laura nicht erklären, dass sie sich bei Fragen des Lehrers oder in Klassenarbeiten oft nicht einmal daran erinnern konnte, dass das genannte Thema jemals im Unterricht besprochen worden war. Es schien ihr fast, als würden immer wieder kleine Stücke aus dem Unterricht fehlen, als würde sie mit ihren Gedanken so sehr abzuschweifen, dass sie Raum und Zeit vergaß.

Außerdem war sie fast ständig müde. Einmal war sie gar in der Pause unter dem Baum am See so tief eingeschlafen, dass sie eine ganze Doppelstunde Geschichte verpasst hatte. Es war allen Schülern, die achtzehn Jahre oder älter waren, erlaubt, in den Pausen und Freistunden das Schulgebäude zu verlassen. Da direkt neben der Schule eine große Wiese bis an den Leskower See heranreichte, an dessen Ufer dann ein paar Bäume Schatten spendeten, zog es die meisten Schüler in jenen letzten sommerlich warmen Tagen dorthin. In Grüppchen saßen sie im Gras, rauchten, besprachen Hausaufgaben, oder spielten Karten.

Da Laura erst kurz vor Beginn der zwölften Klasse achtzehn geworden war, hatte sie bisher keiner dieser Gruppen angehört. Sie zog jedoch meist die Einsamkeit der Gesellschaft anderer vor, und setzte sich daher gerne unter einen der Bäume fast direkt am Ufer, schaute auf das Wasser hinaus oder las. Dabei nickte sie ein, und als sie an jenem Tag wieder erwachte, stellte sie fest, dass die Wiese vollkommen leer war, alle Schüler befanden sich im Gebäude. Ein Blick auf das Handy verriet ihr, dass sie beinahe zwei Stunden geschlafen hatte. Statt Erholung fühlte sie jedoch nur eine noch größere Erschöpfung. Aus den leichten Schmerzen, die ihr das Laufen zurück ins Schulgebäude – was soll ich nur der Lehrerin sagen? – bereitete, schloss sie, dass sie wohl recht unbequem gelegen haben musste. Allerdings war sie doch in der folgenden Unterrichtsstunde, Mathematik bei der Vertretungslehrerin, zu größerer Konzentration fähig, als dies bisher meist der Fall gewesen war, nicht ein einziges Mal schweiften ihre Gedanken ab.