Swipe, um zu sehen, wer jetzt online ist!

Rapunzel 01

ÖFFENTLICHE BETA

Hinweis: Sie können die Schriftgröße und das Schriftbild ändern und den Dunkelmodus aktivieren, indem Sie im Story-Infofeld auf die Registerkarte "A" klicken.

Sie können während unseres laufenden öffentlichen Betatests vorübergehend zu einem Classic Literotica® Erlebnis zurückkehren. Bitte erwägen Sie, Feedback zu Problemen zu hinterlassen oder Verbesserungsvorschläge zu machen.

Klicke hier

„Tanita, richtig?"

„Ja."

„Schon komisch, das Semester ist jetzt zur Hälfte rum und wir haben noch nie ein Wort miteinander gewechselt."

Sie hatten das Foyer vom Bioturm schon fast durchquert. Tanita hörte nur mit halbem Ohr hin, was Magnus sagte.

„Kommt vor", erwiderte sie zerstreut.

„Schon, aber ich find 's schade." Plötzlich blieb er stehen. „Ach, sorry. Du hast es eilig, oder? Und ich halt dich mit meinem Gequatsche auf."

Sein fast trauriger Tonfall ließ sie innehalten und sie drehte sich zu ihm um. Er machte wirklich einen zerknirschten Eindruck. Da wollte er nur nett sein und sie verhielt sich so abweisend.

„Tut mir Leid, Magnus", sagte sie freundlich. „Nimm 's bitte nicht persönlich. Ich würd mich gern mit dir unterhalten, aber jetzt hab ich leider wirklich keine Zeit."

„Stimmt", meinte er und hielt erneut mit ihr Schritt, als sie weiterging. „Dein Freund wartet auf dich."

Verblüfft schaute sie ihn an. „Was?"

„Ist das nicht dein Freund, der dich immer von der Uni abholt? In dem schwarzen Golf?"

Warum war ihr peinlich, dass er sie nach Mick fragte? Es war doch nichts dabei, dass er auf sie wartete.

„Ach so. Doch, natürlich", sagte sie und zog die Eingangstür auf. Der Spätherbstwind kühlte angenehm ihre erhitzten Wangen. Nicht mehr lange, bis es um diese Uhrzeit schon richtig dunkel sein würde.

„Ich hab ihn mal gesehen, als er aus dem Auto ausgestiegen ist", erzählte Magnus munter. „Hat mich irgendwie entfernt an Dustin Hoffman erinnert. Als der noch jung war, natürlich."

Tanita brach in Gelächter aus. „Also, ich hab schon an 'ne Menge gedacht bei seinem Anblick, aber an Dustin Hoffman noch nicht."
„Hey, das ist total positiv gemeint", beteuerte er. „Echt, dein Freund kommt voll cool rüber. Lässiger Typ."

Sie schaute erneut auf die Uhr. Mehr als eine Viertelstunde. Von „lässig" konnte wohl keine Rede mehr sein.

Nervös warf sie einen Blick zum Parkplatz, wo unverkennbar Micks Auto stand.

„Ich muss jetzt aber wirklich", sagte sie zu Magnus. „Man sieht sich."

Er lächelte sie an. „Das hoff ich doch. Mach 's gut."

Sie nickte ihm zu, hastete die Eingangsstufen herunter und lief zum Wagen.

„Hi", sagte sie atemlos, als sie sich auf den Beifahrersitz fallen ließ.

Mick stellte die Musik leiser. Er hatte das Album Parachute von den Pretty Things aufgelegt, eigentlich ein Zeichen dafür, dass seine Laune gut war. Oder es zumindest bis vor kurzem gewesen war.

„Eigentlich", knurrte er statt einer Begrüßung, „wollte ich jetzt schon wieder auf dem Weg zurück zur Arbeit sein."

Innerlich verdrehte sie die Augen, aber um des lieben Friedens willen hielt sie nicht dagegen.

„'tschuldige. Brandtner hat sich heute mal wieder verquatscht."

„So so, Brandtner ist mal wieder Schuld", entgegnete er mit fast höhnischem Tonfall, während er für Tanitas Geschmack viel zu schnell vom Parkplatz fuhr. „Sah für mich eher so aus, als hättest du dich verquatscht. Was war 'n das für 'ne Flachpfeife eben?"

„Niemand", presste sie zwischen zusammengebissenen Kiefern hervor und stemmte die Füße gegen den Boden des Wagens. Die Beschleunigung fuhr ihr unangenehm in die Magengegend. „Bloß ein Kommilito- oooh!"

Mick nahm den Fuß vom Gas und legte ihr beruhigend die Hand aufs Knie. „Tut mir Leid", sagte er etwas sanfter. „Geht 's wieder?"

Tanita schloss kurz die Augen und atmete tief durch. „Klar. Brauchst keine Rücksicht auf mich zu nehmen, du musst schließlich wieder in die Werkstatt."

„Scheiß auf die Werkstatt. Ist ja kein Grund zu rasen und dich in Angst und Schrecken zu versetzen."

Sie lächelte ihn an, aber insgeheim fühlte sie sich nicht besonders glücklich. Zwar war sie nach wie vor froh darüber, dass ihre Bewerbung an der Uni geklappt hatte und sie sich im August für Biologie hatte einschreiben können. Seit Oktober war sie mit Feuereifer bei der Sache, auch wenn das einzige biologische Modul im ersten Semester Zoologie war und sie sich hauptsächlich mit anorganischer Chemie, Physik und Mathe beschäftigen musste. Aber anders als viele ihrer Kommilitonen tat sie sich mit den Nebenfächern nicht allzu schwer, sie fand an allem etwas interessantes. Was sie belastete, war nicht das Studium selbst, sondern dass Mick sich nach wie vor vollkommen mit einbrachte. Wie schon zu Schulzeiten spielte er Taxi, brachte sie jeden Tag hin und holte sie nach den Lehrveranstaltungen wieder ab. Aber die Kurse fanden nicht wie der Schulunterricht von acht Uhr morgens bis nachmittags statt. An einigen Tagen musste sie erst um zehn in der Uni sein, manchmal hatte sie schon mittags frei, dann wieder erst um halb fünf. Für Mick bedeutete das, dass er morgens früh zur Arbeit fuhr, ein paar Stunden später wieder nach Hause um Tanita zur Uni zu fahren, dann wieder zur Arbeit, schließlich holte er sie wieder ab und brachte sie nach Hause und fuhr ein drittes Mal wieder zurück zur Arbeit. Tanita konnte sich nicht recht vorstellen, wie er es fertigbrachte, dass sein Chef dieses Hin und Her tolerierte, aber ihr war klar, dass er seine Pausenzeit allein darauf verwendete, sie zu chauffieren. Wenn die Fahrerei länger in Anspruch nahm, musste er die Zeit natürlich später abarbeiten -- ein Grund, dass er nicht besonders begeistert war, wenn sich eine ihrer Übungen länger hinzog, als sie laut Stundenplan sollte. Mick sprach es zwar nicht aus, doch Tanita spürte, dass ihm der ganze Aufwand zunehmend auf die Nerven ging. Wie sollte es bloß die weiteren fünf Semester laufen, die sie noch vor sich hatte?

„Du...", fing sie vorsichtig an, als sie an einer Ampel halten mussten. Sorgfältig legte sie sich zurecht, was sie sagen wollte -- und vor allen Dingen wie. Was sie jetzt auf keinen Fall gebrauchen konnte, war Streit.

„Na, was denn?" Er klang nicht direkt ungeduldig, eher etwas müde.

„Dass du mich immer überall hinfährst und abholst...", sie zögerte, „macht dir das wirklich nichts aus?"

„Spinn mal nicht", brummte er. „Seh ich etwa schon so alt aus?"

„Quatsch. Aber erstens verfährst du jede Menge Benzin und zweitens kannst du dich überhaupt nicht mehr richtig auf deine Arbeit konzentrieren."

„Lass das mal meine Sorge sein. Solange du meine Unterstützung brauchst, wirst du sie auch kriegen, und wenn das bedeutet, dass ich hundertmal am Tag hin und her fahren muss."

„Aber wenn es dir mal aus irgendeinem Grund zu viel werden sollte", sagte Tanita noch vorsichtiger, „hab ich ja immer noch mein Semesterticket."

Erst befürchtete sie, Mick würde einen Wutanfall bekommen und sie anbrüllen, sie solle gefälligst nicht so undankbar sein oder so etwas in der Art. Er runzelte zwar die Stirn und stieß geräuschvoll die Luft durch die Nase aus, aber er beherrschte sich.

„Du willst also lieber allein mit dem Bus fahren, ja?", knirschte er. „Und dich von irgendwelchen perversen Drecksäcken angehen lassen, was?"

„Es sind ja nicht nur solche Leute unterwegs", antwortete Tanita leise.

Mick schnaubte nur spöttisch. „Da weißt du natürlich bestens Bescheid. Hör mal, anderen Typen mag es ja scheißegal sein, wenn ihr Mädchen von anderen blöd angemacht wird oder schlimmeres, aber ich dachte, du kennst mich lange genug um zu wissen, dass du mir wichtig bist."

„Natürlich! Aber..."

„Lass gut sein, okay?", unterbrach er sie. „Wenn ich eines Tages mit dem Kopf unter dem Arm daherkommen sollte, dann ist es was anderes, aber solange ich noch gut beieinander bin, werd ich dich verdammt noch mal nicht allein lassen. Klar?"

Inzwischen waren sie in ihrer Straße angekommen. Mick machte sich nicht erst die Mühe, einen Parkplatz zu suchen, sondern hielt in zweiter Reihe vor ihrem Hauseingang. Er wollte Tanita nur schnell absetzen und dann zusehen, dass er zurück in die Werkstatt kam.

„Bis heute Abend", murmelte das Mädchen und machte Anstalten, die Beifahrertür zu öffnen, als er sie noch einmal zurückhielt. Liebevoll strich er ihr über die Wange.

„Du Arme. In letzter Zeit musst du ständig meine schlechte Laune aushalten."

Mit schlechtem Gewissen wich Tanita seinem Blick aus. „Ach... Unsinn."

Mick beugte sich zu ihr und gab ihr einen Kuss. „Hauptsache, du weißt noch, dass ich dich liebe, mein Mädchen."

Sie nickte und zwang sich zu einem Lächeln. „Klar. Lieb dich auch."

Als sie die Haustür aufdrückte, die tagsüber immer offen stand, konnte sie das schlechte Gewissen immer noch nicht abschütteln. Wenn ich eines Tages mit dem Kopf unter dem Arm daherkommen sollte... Hatte sie da wirklich gedacht: Schön wär's?

Um kurz nach sechs klingelte das Telefon. Tanita saß noch über ihren Aufgaben für die morgige Chemieübung. Mit einem entnervten Seufzen warf sie den Stift hin. Wahrscheinlich war das Mick um ihr zu sagen, dass er sich auf den Weg machte und was er zum Abendessen haben wollte.

„Ja?", meldete sie sich.

„Diederich hier", erklang eine tiefe Männerstimme am anderen Ende der Leitung. „Spreche ich mit Tanita?"

„Ja", sagte sie mit plötzlich schmerzhaft klopfendem Herzen. Diederich, das war doch Micks Chef. „Was ist denn los?"

„Tanita, ich... muss Ihnen leider sagen, dass..."

Ihre Knie drohten nachzugeben, sie stützte sich mit der freien Hand an der Wand ab. „Was ist mit Mick?" Wie schrill und merkwürdig ihre Stimme mit einem Mal klang.

„Er hatte einen Unfall. Ich weiß nicht, wie das passieren konnte -- irgendwie ist eine Motorhaube... sie hat ihn am Kopf erwischt."

Sie schloss die Augen, rang verzweifelt nach Atem, aber ihre Kehle war zu eng.

„Sie haben ihn gerade in die Uniklinik gebracht", sagte Herr Diederich, hörbar erleichtert, den schlimmsten Teil seiner Nachricht übermittelt zu haben.

Jetzt bekam Tanita doch wieder ein bisschen Luft. „Er... er lebt noch?"

„Um Gottes Willen, ja! Er war eine ganze Weile weg, aber als der Notarzt kam, ist er wieder halbwegs zu sich gekommen. Ein Kollege ist mit ihm mit, dass jemand für alle Fälle da ist, zumindest bis Sie... also, ich weiß ja nicht, ob Sie jetzt gleich...?"

„Sicher!", sagte Tanita sofort. „Ich bin quasi schon unterwegs. Uniklinik, richtig?"

„Genau", bestätigte er. „Glauben Sie mir, ich weiß wirklich nicht, wie ihm das passieren konnte. Wir sind hier alle ziemlich geschockt."

Fast hätte sie nervös aufgelacht. Was glauben Sie, was ich bin. Zum Glück riss sie sich zusammen und erwiderte nur: „Schon gut. Vielen Dank, dass Sie mich angerufen haben."

„Na hören Sie, das ist doch wohl selbstverständlich. Am liebsten wäre mir, ich hätte das irgendwie verhindern können."

„Machen Sie sich keine Vorwürfe." Es reicht, wenn ich mir die mache. „Ich werde sofort losfahren. Vielen Dank noch mal und auf Wiederhören."

„Richten Sie ihm gute Besserung von mir aus, wenn Sie mit ihm sprechen können", verabschiedete er sich.

Nachdem sie aufgelegt hatte, stand Tanita mindestens eine Minute wie erstarrt im Flur. Das war doch eindeutig ein Albtraum. Sie hatte vor ein paar Stunden gedacht, es wäre nicht schlecht, wenn Mick mal etwas passierte -- und jetzt lag er tatsächlich im Krankenhaus und war womöglich sogar schwer verletzt! Das war ja fast wie Voodoo, schwarze Magie, so etwas gab es doch nicht in Wirklichkeit!

„Ich hab 's doch nicht ernst gemeint... nur ein flüchtiger Gedanke... ich wollte doch nicht wirklich... oh Scheiße, bitte mach, dass er das gut übersteht!"

Ohne etwas dagegen machen zu können, liefen ihr die Tränen über die Wangen. Fast blind griff sie nach dem Telefonbuch, blinzelte den Schleier vor ihren Augen weg und suchte nach einem Taxiunternehmen.

Im Nachhinein wunderte sie sich, wie selbstverständlich und rational sie ihre Entscheidungen in dieser Stresssituation traf. Jetzt gab es niemanden, der ihr zur Seite stehen konnte, im Gegenteil, sie war es, die gebraucht wurde und Verantwortung übernehmen musste. Tanita nutzte die Zeit, bis das Taxi kam und packte rasch das Nötigste für Mick zusammen. Ein paar Kleidungsstücke, Waschzeug, Kamm. Im letzten Moment, als der Taxifahrer schon unten klingelte, flitzte sie noch mal ins Schlafzimmer um seine Versichertenkarte zu holen. Zum Glück wusste sie, in welcher Schublade vom Nachttisch er solche Unterlagen aufbewahrte, aber sie musste in dem heillosen Durcheinander trotzdem eine Weile wühlen, bis sie das Gesuchte endlich gefunden hatte.

„Sobald ich wieder da bin, wird das hier vernünftig sortiert", nahm sie sich vor, dann sah sie zu, dass sie nach unten kam.

„Guten Abend. Können Sie mir sagen, wo Mick Steffen ist? Er wurde gegen sechs mit einer Kopfverletzung hier eingeliefert."

Die Empfangsdame in der zugigen Eingangshalle der Klinik musterte sie nicht besonders freundlich.

„Darf ich fragen, wer Sie sind?"

Ihr abweisender Tonfall nahm Tanita fast den Mut, aber sie riss sich zusammen. „Sicher, Entschuldigung. Tanita Sommer, ich bin..." Seine Patentochter? Freundin? „...mit Herrn Steffen zusammen. Ich hab auch seine Karte mit... warten Sie..." Sie kramte in ihrer Jackentasche danach, aber ihr Gegenüber winkte nur ab.

„Das können wir später noch machen. Herr Steffen ist im Augenblick", sie tippte etwas auf ihrer Tastatur und starrte angestrengt auf den Bildschirm, „beim CT."

„Danke", sagte Tanita. „Und... wo genau finde ich das?"

Die Wegbeschreibung war für jemanden, der noch nie auf dem riesigen Klinikgelände gewesen war, zwar etwas kompliziert, aber zu ihrer eigenen Überraschung fand Tanita ohne weiteres Nachfragen hin. Wirkten die übrigen Gänge des Krankenhauses schon kalt und unsympathisch, so kam ihr der kleine Wartebereich vor dem mit dicken Türen verschlossenen Untersuchungsraum regelrecht düster vor. An der Wand stand ein Bett mit einem alten Mann, der an verschiedenen Infusionen hing. Er hatte die Augen geschlossen und gab keinen Laut von sich, aber in unregelmäßigen Abständen wand er den Kopf auf dem Kissen und sein schmales, faltiges Gesicht verzerrte sich, als würde er unter starken Schmerzen leiden. Beklommen wandte Tanita den Blick von dem armen Mann ab. Nur noch ein weiterer Mensch war anwesend, ein etwas untersetzt wirkender Kerl in den Vierzigern, der einen blauen Overall und Sicherheitsschuhe trug. Er rutschte auf seinem harten Plastikstuhl herum und schien sich genauso unwohl in dieser Umgebung zu fühlen wie Tanita.

Schüchtern ging die junge Frau auf ihn zu. „Entschuldigen Sie bitte. Sind Sie der Kollege von Mick?"

Überrascht schaute er sie an, dann zog ein Lächeln über sein zerknautschtes Gesicht. „Du musst sein Patenkind sein."

„Genau. Tanita Sommer, hallo."

„Kurt Baumgarten."

Sie gaben einander die Hand und Tanita setzte sich neben ihn.

„Bin froh, dass Diederich dich erreicht hat", meinte er gedämpft um den alten Mann nicht zu stören. „Mick wird sich freuen, dass du da bist."

„Ist er denn..." Sie wusste nicht recht, wie sie es formulieren sollte. „Also... ist er bei Bewusstsein oder...?"

„Na ja, das geht immer so hin und her. Auf die Sanitäter hat er zumindest reagiert, als sie so ihre ersten Tests mit ihm gemacht haben, bevor 's dann ins Krankenhaus ging. Und mich hat er auch erkannt, als ich bei ihm war, während wir warten mussten, dass er in die Notaufnahme konnte. Er macht halt zwischendrin immer mal wieder die Augen zu, aber so richtig hundert Prozent bewusstlos ist er dann, glaub ich, nicht."

Das klang ja fast beruhigend. „Was haben die Ärzte denn bis jetzt mit ihm gemacht? Wissen Sie schon, was genau er sich am Kopf getan hat?"

Baumgarten schnaubte kurz. „Wäre schön, wenn man mal was erfahren würde von den Herrschaften. Aber die flitzen nur wichtig in ihren Kitteln hin und her und erzählen einem höchstens, zu welcher Station die Reise denn als nächstes geht." Er machte eine Pause, in der seine Miene sich leicht erhellte. „Da fällt mir ein, als wir da vorhin vor der Notaufnahme rumlungern mussten und gewartet haben, da hat er mich ja nicht nur erkannt. Er hat sogar gesagt: 'Kurt, du musst Tanita Bescheid geben.' Und ich sag, 'Keine Sorge, Mick, das hat der Chef schon erledigt, es ist alles in Ordnung.' Da macht er nur die Augen zu und murmelt, 'Gut.' Er weiß also auf jeden Fall noch, wer du bist und macht sich Gedanken um dich. Das ist doch kein schlechtes Zeichen."

Tanita lächelte schwach. „Hoffentlich. Herr Baumgarten... ich bin Ihnen sehr dankbar, dass Sie Mick nicht allein gelassen haben. Aber Sie müssen jetzt nicht mit mir hier herumsitzen und Ihre Zeit verschwenden."

„So ein Blödsinn", antwortete er fast empört. „Ich will doch auch wissen, was mit ihm los ist. Übrigens -- du musst mich nicht siezen."

In diesem Moment wurde die Tür zum CT geöffnet und eine Schwester schob Mick in den Wartebereich. Tanita erschrak, als sie ihn sah. So blass und still war sein Gesicht noch nie gewesen, wie jetzt, wo er auf diesem grässlichen schmalen Bett lag, fast als hätte man ihn aufgebahrt. Sie sprang auf und machte einen Schritt auf ihn zu. Ihre Knie versagten fast, so sehr zitterten sie.

„Wie geht es ihm?", fragte sie die Schwester heiser.

„Die Aufnahmen werden jetzt ausgewertet", erklärte diese kurz und schob Mick aus dem Wartebereich heraus in einen Seitengang, wohl damit er nicht im Weg war. Wenn man so sorglos mit ihm umgeht, kann ja zumindest keine Lebensgefahr bestehen, dachte Tanita sarkastisch.

Die Schwester verschwand ohne ein weiteres Wort hinter der nächsten Tür, sodass niemand die Chance bekam, weitere Fragen zu stellen. Behutsam trat Tanita an Micks Seite, tastete zaghaft nach seiner Hand.

„Hallo", flüsterte sie.

Ein ganzes Gebirge fiel ihr vom Herzen, als er die Augen öffnete und ihren Blick suchte.

„Tanita", murmelte er mit rauer Stimme. „Wie kommst du denn her?"

„Mit dem Taxi", sagte sie und kämpfte gegen die Tränen der Erleichterung. „Ach Mick, was machst du bloß? Du hast mir vielleicht einen Schrecken eingejagt."

Er drückte ihre Hand. „Alles... halb so wild. Mir dröhnt nur reichlich der Schädel. Schön, dass du da bist", ein leichtes Grinsen verzog sein Gesicht, „sogar gleich zweimal..."

Gegen ihren Willen musste Tanita schmunzeln und auch Kurt Baumgarten, der sich ein bisschen im Hintergrund hielt, griente in sich hinein.

„Nun red mal nicht so viel", meinte das Mädchen liebevoll. „Ruh dich ein bisschen aus."
Gehorsam schloss Mick die Augen, aber Tanitas Hand ließ er nicht los. Sein Händedruck war beruhigend fest.

Schweigend warteten sie im halbdunklen Gang darauf, dass endlich jemand kommen und ihnen sagen würde, was Sache war. Ab und an knallten irgendwo Türen, Ärzte und Schwestern in OP-Kitteln liefen an ihnen vorbei. Mit halbem Ohr hörte Tanita ihren flapsigen Sprüchen zu. Klinikpersonal hat wohl seinen eigenen Humor, ging ihr durch den Kopf. Manchmal wechselte sie einen kurzen Blick mit Micks Kollegen, der ihr dann aufmunternd zulächelte. Die Zeit verlor an Bedeutung. Wer wusste schon, wie lange sie hier standen. Ein paar Minuten erst oder bereits eine halbe Stunde? Tanita hatte nicht einmal das Bedürfnis, auf die Uhr zu sehen.

Dann plötzlich stand eine hübsche Frau mit dunklem Teint und pechschwarzen, zum Pferdeschwanz gebundenen Haaren vor ihnen. Sie mochte in etwa Micks Alter haben, ihr Namensschild wies sie als Dr. Soltani aus.

„Es tut mir Leid, dass Sie so lange warten mussten", sagte sie mit einem freundlichen, ehrlichen Lächeln. „Der Schutzengel von Herrn Steffen scheint wirklich sehr tüchtig zu sein. Er hat zwar eine schwere Gehirnerschütterung, aber ansonsten keine weiteren Verletzungen davongetragen. Wir werden ihn zur Beobachtung jedoch ein paar Tage hier behalten müssen."

Kurt Baumgarten stieß einen Seufzer der Erleichterung aus. Mick schlug die Augen auf. „Und Tanita?", fragte er.

„Mach dir um mich keine Sorgen", beruhigte diese ihn schnell. „Ich komm zurecht und werd gut auf mich aufpassen. Vertrau mir."
„Ihre Freundin hat ganz Recht", bekräftigte Dr. Soltani. „Sie brauchen sich erst mal nur darum zu kümmern, dass Sie wieder gesund werden, alles andere ist vorläufig unwichtig."

Mick schien das etwas anders zu sehen, aber als er etwas darauf entgegnen wollte, wurde ihm schlecht. Zum Glück hatte man ihm in weiser Voraussicht eine entsprechende Schale gegeben.