Die Woelfin 02

Ein schwerer Stein legt sich auf Nadjas Herz, schnürt ihr die Kehle zu, lässt sie betrübt zu Boden blicken, damit Andrejana ihre Tränen nicht sehen kann.

„Das..." ihre Stimme schafft es kaum an dem Kloß in ihrem Hals vorbei, während sie vor Furcht am ganzen Leib zittert," Das heißt dann wohl, das wir nicht zusammen bleiben können."

Andrejana beißt sich auf die Lippen, scheint in Gedanken etwas abzuwägen, ihre Zurückhaltung ist deutlich zu spüren, als sie meint," Vielleicht ja doch."

Neue Hoffnung keimt in Nadja, doch Andrejana schüttelt den Kopf, als sie den Schimmer in ihren Augen erkennt," Es wird nicht einfach für dich werden. Denn ich kann mich nicht ändern. Aber... du kannst es."

„Wie...was...meinst du?"

Ihr tief in die Augen blickend fragt die schöne Fremde, die Nadja erst seit wenigen Tagen kennt, und doch inbrünstig liebt," Würdest du mit mir kommen? Würdest du dein bisheriges Leben aufgeben, um bei mir zu bleiben? Deiner Familie, deinen Freunden, deinem Mann den Rücken kehren, und mit mir fortgehen? Dann könnten wir für immer zusammen bleiben, und müssten nicht voneinander getrennt sein."

Der Stein auf ihrer Brust nimmt an Gewicht zu, drückt sich jedoch nicht nur auf ihren Leib, sondern auch auf ihr Gemüt, das abzuwägen versucht, welche Liebe größer ist. Die zu ihrem bisherigen Leben, mit Ivan, seinen und ihren Freunden und Familien, den Leuten, die sie großgezogen, mit denen sie aufgewachsen und zusammengelebt hat. Oder einem Leben immerzu von einem Ort zum anderen, mit einer unbekannten Frau, die sie erst eine Woche lang kennt, und innig zu lieben glaubt.

Andrejana scheint ihren Schmerz zu spüren, beruhigend streicht ihre Hand durch die Haare an Nadjas Kopf, gleitet mitfühlend an ihr Kinn, und hebt es etwas in die Höhe.

Bevor eine von ihnen etwas sagen kann, berühren sich ihre Lippen ganz von selbst, und lösen sich erst lange nachdem der Atem aufgebraucht ist. Dennoch keucht keine von ihnen nach Luft, denn das was sie einander gegeben haben, ist viel wichtiger.

„Ich weiß, die Entscheidung fällt nicht leicht." Ruhig kommen die Worte über Andrejanas Lippen," Du hast ja noch Zeit. In zwei Tagen ziehe ich weiter. Wenn du mich begleiten willst, komm zu mir. Andernfalls...."

Sie spricht nicht weiter, und auch Nadja beendet den Satz nicht.

Um sich abzulenken fragt sie," Und wo finde ich dich? Ich kenne mich nicht sonderlich aus in den endlosen weißen Dünen."

Ein kurzes Lächeln hellt Andrejanas Gesicht auf, verschwindet aber ebenso schnell, wie ihre Hand hinter ihrem Rücken hervorkommt.

Neugierig sieht Nadja auf die geballte Faust, die in der Luft zwischen ihren Brüsten hängen bleibt, und sich langsam öffnet.

Auf der Handfläche liegt eine Schnur aus groben Leder, die durch ein seltsames Schmückstück gezogen ist, das gewisse Ähnlichkeit... Nein, es IST die Kralle eines Wolfes!

„Das hier, wird dich zu mir führen, wenn du nur fest an mich denkst. Wenn du wirklich mit mir kommen willst."

Sie ergreift die Schnurr mit beiden Händen, will sie um Nadjas Hals legen, doch Nadja greift danach und wirft den Anhänger in die dunkelste Ecke des Schuppens.

Ehe Andrejana vor Schreck aufkeuchen, oder sich Verwirrung und Trauer in ihrem Gesicht abzeichnen können, packt Nadja ihr Gesicht, bringt es ganz dicht an das ihre heran, und so eindringlich wie ihre Augen leuchten, ist auch ihre Stimme, als sie erklärt," Das kann warten. Heute Nacht bist du noch hier, und falls es unsere letzte gemeinsame Nacht ist, will ich sie voll und ganz genießen, damit ich mich immer daran erinnern kann. Heute Nacht, bleiben wir zusammen."

Das Lächeln in Andrejanas Gesicht wird von Nadjas Lippen fortgespült, die sich heiß auf ihren Mund legen, und der gierigen Zunge den Weg in ihren Rachen ebnen.

Langsam kehrt sie aus dem Reich der Träume zurück, etwas Weiches gleitet über ihre Haut als sie sich bewegt, aber als sie die Augen öffnet, erblickt sie nur ihre eigene Kleidung, die sorgfältig auf ihren nackten Leib gelegt ist, damit sie nicht friert.

Sie seufzt entsagungsvoll aus, doch obwohl ihre Vorfreude verfliegt, bleibt das Lächeln in ihrem Gesicht.

Denn diese Nacht, war die schönste in ihrem ganzen Leben.

Sie wirft ihre Kleider zur Seite, und will schon aufstehen, als ihr Blick auf ihre Brust fällt.

Dort liegt, spiralförmig eingerollt das lederne Band, an dessen Ende die Wolfskralle befestigt ist. Die Spitze der Raubtierwaffe deutet genau auf Nadjas Gesicht, immer noch vor Zuneigung lächelnd greift sie danach, lässt es durch ihre Hände gleiten, und schwelt in den Erinnerungen an die vergangenen Stunden

Gemächlich erhebt sie sich, legt den größten Mantel um ihre Schultern, und mit nackten Füßen tritt sie aus dem Schuppen.

Von der Hütte herüber ist lautes Schnarchen zu hören, doch Nadja kümmert sich nicht darum, ihr Blick schweift in die weite, endlos scheinende Tundra, über die immerfort der Schnee weht, und kaum die Hand vor dem Gesicht erkennen lässt.

Sie kann Andrejanas nicht sehen, aber sie weiß ganz sicher, dass sie irgendwo da draußen ist. Ihr Griff um die Kralle verstärkt sich, und auch das Gefühl für Andrejanas Anwesenheit, die seltsame ruhige, aber dennoch kraftvolle Gegenwart, die sich auch auf Nadja ausbreitet.

Und während Nadja den Anhänger noch fester in ihre Hand schließt, fasst sie ihren Entschluss.